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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Parapsychologie - insbesondere Telepathie - sowie die Offenbarung der Geister durch Klopftöne. Dabei behauptet sie, dem Okkultismus nicht verfallen zu sein, sondern ihn entlarven zu wollen. Forschend sieht er mich an, wie steht es mit Regine? Leider rührt auch unsere gemeinsame Tochter keine Belletristik an. Sachbücher über die Wirksamkeit von Eigenblutbehandlung oder über den Einsatz von Brennesselsud zur Schädlingsbekämpfung weiß ich zu nennen, anderes habe ich vergessen.
    Auch meinem blinden Lebensgefährten Anton war die Weltliteratur weitgehend fremd, aber er hörte immerhin zu, wenn ich ihm vorlas. Hugo ist gemein genug, Antons rheinischen Dialekt nachzuäffen. Weil ich das nun wirklich besser kann, muß ich es sofort beweisen: Ich lebte schon ein ganzes Jahr mit Anton zusammen, bis er von Ulrich hörte, daß ich rothaarig war. »Wat is dat dann, du bist fussig?« fragte er. »Nu bin ich janz von 'en Socken.«
    Aber auch Bernhard hatte seine Marotten: Obwohl alles andere als sportlich, wußte er doch sämtliche Medaillengewinner der Olympischen Sommerspiele von 1896 bis 1936 aufzuzählen, sammelte Briefmarken aus den ehemaligen deutschen Kolonien - aber nur mit Tiermotiven -und litt unter der Angst, sich in fremden Toiletten eine Geschlechtskrankheit zu holen. Da er jedoch eine schwache Blase hatte, war er nicht nur auf Reisen oder in Gaststätten, sondern auch beim täglichen Schuldienst auf die Benutzung öffentlicher WCs angewiesen, was zu ebenso furchtbaren wie unbegründeten Panikattacken führte. Hugos Lachen ist schadenfroh, wenngleich er bei diesem Thema abrupt das Klo aufsuchen muß; es ist mir schon mehrmals aufgefallen, wie lange er dort verweilt. Als er zurückkommt, habe ich keine Lust mehr, über die Behinderungen Verstorbener herzuziehen.
    Inzwischen hat Alice angerufen. Nach Auskunft der Ärzte geht es Heidemarie den Umständen entsprechend gut, aber die Größe des Tumors habe eine Brustamputation und Ausräumung der axillären Lymphknoten erfordert. Im Anschluß an die Chemotherapie werde eine Nachsorgekur empfohlen.
    »Also müßt ihr damit rechnen, daß Heidemarie auf längere Sicht nicht einsatzfähig ist«, sagte Alice in ihrer sachlichen Art. »Regine sollte sich die Seniorenheime in eurer Gegend mal genauer ansehen, irgendwo ist sicher ein Zimmer frei.«
    Hugo nimmt die Nachricht gelassen auf, ich habe sogar das Gefühl, daß er den Ernst der Lage nicht ganz begreift. Um ihn zu schonen, verschweige ich ihm allerdings das Seniorenheim; zunächst einmal werde ich meine Kinder um Rat fragen.
    Regine hat dafür gesorgt, daß ich wieder Essen auf Rädern erhalte. Punkt elf - dabei haben wir erst um zehn gefrühstückt -bringt ein junger Mann (leider nicht Patrick) Rouladen in Senfsauce, Leipziger Allerlei und Kartoffelpüree. Ich stelle alles in den Backofen und vergesse später, ihn einzuschalten.
    »Weißt du, Ida«, sagt Hugo, »Heidemarie ist eine schöne erholsame Kur wirklich zu gönnen, sie hat sonst so wenig Ablenkung.«
    Ich werde immer giftig, wenn ich mit »Ida« angeredet werde, und beschließe, ihn in Zukunft »Anton« oder »Bernhard« zu nennen. Meine Belehrung fällt etwas hart aus: Die
    Rekonvaleszenz seiner Tochter ist keine Vergnügungsreise.
    Aber es stimmt schon, Heidemarie hat nicht nur ihre Mutter versorgt, sondern auch ihren Vater und ihre Großmutter betreut; nach all diesen Mühen ist sie nun selbst schwer krank und von der Pflege fremder Menschen abhängig. Ich habe ihr niemals gebührend dafür gedankt, daß sie sich jahrelang um meine eigene alte Mutter kümmerte, bis man sie ins Kreispflegeheim verlegen mußte.
    Hugo ist still geworden. Seit ich ihn kenne, reagiert er empfindlich auf Kritik. Meistens läßt er mich dann eine Weile links liegen, aber zuweilen holt er auch zum Gegenschlag aus, wie jetzt. Sein Blick schweift durchs Zimmer, bis er auf die Nachbildung einer etruskischen Vase in schwarzen und braunen Erdfarben fällt. »Genau die gleiche hatte Miele«, sagt er.
    Ich könnte mir die Zunge abbeißen, so schnell antworte ich: »Sie ist von Mielchen.« Von allem Schund, den mir meine Freundin im Laufe ihres Lebens schenkte, konnte ich mich ohne
    Gewissensbisse trennen, aber nicht von diesem Erbstück, das die edlen Formen der Antike verkörpert. Diese Vase gehörte so sehr zu meiner Freundin, daß sie mir ans Herz gewachsen ist und ich nicht beurteilen kann, ob es sich um Kitsch handelt.
    Mieles Mann starb im selben Jahr, als auch ich durch Antons

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