Kalt ist der Abendhauch
Anstellung eines Mietjosephs. Und damit nahm das Verhängnis seinen Lauf, wobei man mir die ehebrecherischen Details leider geflissentlich vorenthielt. Die Ehe endete damit, daß sich meine Tochter die Haare streichholzkurz abschnitt und von da an eine unvorteilhafte Frisur trug, die sie bis heute beibehalten hat.
»Nein, nein«, sagt Hugo, »sie ist eine Jeanne d'Arc, ihr steht diese Frisur. Aber weißt du was, Charlotte, ich werde mein Erbe neu regeln müssen. Bisher bin ich von einer einzigen Tochter ausgegangen.«
»Regine erbt mein Haus, Veronika und Ulrich haben zu ihren Gunsten verzichtet. Sie kommt also auch ohne deine Segnungen über die Runden.«
Leider durchschaut Hugo sofort den Schwachpunkt meiner Planung: Der eingemauerte Bernhard gehört mit zur Erbschaft. »Das können wir doch nicht machen, Charlotte«, sagt er und hat dabei nicht ganz unrecht. Nachdenklich sitzen wir zusammen auf dem Sofa.
Natürlich ist es uns Alten unmöglich, Bernhard zu exhumieren und anderweitig unterzubringen. Wird Regine das Haus behalten? Falls sie selbst darin wohnen will, ist die Chance immerhin groß, daß viel Zeit verstreicht, bevor der grausige Fund entdeckt wird. Wenn sie aber verkauft, wird das unmoderne Haus bestimmt abgerissen.
»Bist du versichert?« fragt Hugo.
Als Hauseigentümerin bin ich in der gesetzlich vorgeschriebenen Gebäudeversicherung gegen Blitzschlag, Explosion, Brand, Sturm, Hagel, Hochwasser und Erdbeben. Wir schauen uns in die Augen, ein Hauch Pioniergeist aus der Jugendzeit flackert auf. »Man könnte doch ...«, sagt Hugo, »... das morsche Gemäuer einfach abfackeln...«, ergänze ich. Ich suche die Police heraus, ob sich die Mühe finanziell lohnen würde.
Sieh da, ein hübsches Sümmchen. Einer alten Frau wird man ja wohl zubilligen, daß sie versehentlich das heiße Bügeleisen auf einem leicht entzündlichen Gewebe vergißt, daß sie die Kochplatten nicht ausstellt, daß sie schmorende Kabel nicht riecht. Wir können uns sogar den auffälligen Benzinkauf sparen. Hugo entwickelt noch wildere Pläne: »Von diesem Geld machen wir eine Kreuzfahrt nach Mexiko.«
»Wenn das Haus nicht mehr steht, dann bekommt Regine die volle Versicherungssumme.«
Doch uns bliebe dann nur noch das Seniorenheim, und überhaupt käme Bernhard bei einer Feuersbrunst womöglich nur früher ans Tageslicht.
Es sind Gespräche, die mich ermutigen, eine wichtige Frage zu stellen. »Hugo, du mußt mir endlich verraten, warum du dich nach Idas Tod nicht sofort gemeldet hast! Wenn du zehn Jahre früher gekommen wärest, hätten wir vielleicht wirklich noch eine Reise zusammen machen können.«
Hugo murmelt etwas von Depression. Aber seine Briefe und Karten aus jener Zeit hatten einen durchweg vergnüglichen Tenor. Ich hake weiter nach, und die Wahrheit kommt langsam ans Licht. Schon lange vor Idas Tod hatte Hugo seine Buchhandlung verkauft, stand aber mit seiner Nachfolgerin auf gutem Fuß und besuchte sie und seinen ehemaligen Laden fast jede Woche. Sie hieß Rotraud, stammte aus Österreich und war mit einem Liliputaner verheiratet, den sie durch ein Inserat kennengelernt hatte: »Wir machen Ihnen nicht nur den Hof, sondern auch den Garten.« Sie rief sofort an, wollte aber nicht den Gärtner, sondern nur den Texter kennenlernen. Hugo mußte fortan die von Rotraud verfaßte Liebeslyrik in metrisch saubere Sonette zwingen. Das Bändchen wurde im Selbstverlag unter dem Titel »Klein, aber mein« veröffentlicht. Der Zwerg, jahrelang durch zarteste Poesie und Wiener Mehlspeis verwöhnt, war allerdings von undankbarem Wesen und verließ die Dichterin, um sich einer Jüngeren zuzuwenden. Hugo macht eine bedeutungsvolle Pause, um dann zu des Pudels Kern zu kommen: Kein anderer als er hat Rotraud getröstet. Nun werde ich zornig. Wie alt war sie? Über fünfzig. Also jünger als seine Tochter! »Hast du etwa mit ihr geschlafen?« Hugo wird ausweichend und flüchtet sich in ein Mörike-Gedicht: »Ihr tausend Blätter im Walde wißt, ich hab Schön-Rohtrauts Mund geküßt! Schweig stille, mein Herze!«
Wahrscheinlich erwartet er, daß ich in Reimen erwidere: »Was siehst mich an so wunniglich? Wenn du das Herz hast, küsse mich!« Aber ich denke nicht daran, ich habe eher Lust, ihn ins Hotel zu schicken, muß aber mit profanen Worten aufs Kabäuschen verweisen. Hugo nimmt meine Wut nicht ernst, er ist ungezogen genug, sich darüber zu amüsieren. Und als ich schließlich ebenfalls in meiner Koje liege, muß ich wie ein
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