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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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intensiver strömt sein Körper ranzig-gärende Gerüche aus. Wofür hat er eigentlich die vielen Handtücher gebraucht? Mir kommt es so vor, als ob nur junge Liebe eine so nahe Körperlichkeit erträgt. Ein wenig plagt mich auch die Angst, daß er auf meinem eingeschlafenen Arm die Augen für immer schließt.
    Ich dachte, ich würde die ganze Nacht keine Ruhe finden. Aber so ist es nicht. Frisch und munter, gut durchblutet und in bester Laune werde ich wach und höre Hugo im Badezimmer und die Vögel im Kirschbaum singen.
    »Wenn ich nicht so tapprig wäre«, sagt Hugo, »würde ich dir das Frühstück ans Bett bringen, mein Schätzchen.«
    Ich alte Törin beeile mich, Kaffeewasser aufzusetzen. Dabei weiß ich genau, daß heute nacht nichts Aufregenderes als erquicklicher Schlaf stattgefunden hat. Während ich in der Küche herumfuhrwerke, gehen mir neue demütigende Gedanken im Kopf herum. So wie ich Hugos verdorrten Leib als unästhetisch empfand, so wird es ihm auch mit meinem ergangen sein. Anders wäre es, wenn er sich vor vielen Jahren von Ida getrennt hätte und wir ein altes Ehepaar geworden wären. Schleichend und für den anderen kaum wahrnehmbar hätte sich der Verfall unserer Körper hingezogen, wir hätten uns dem Alter auch in unseren Bettgewohnheiten angepaßt. Jetzt gilt es eine Kluft von vierzig Jahren zu überbrücken, ein Absturz ist uns sicher. Sollte Hugo heute wieder zu mir kriechen, dann werde ich ihn unbarmherzig zurückweisen. Aber andererseits -man liest in Zeitungen, man hört im Radio, man sieht es ihm Fernsehen: Immer wieder bekennen sich alte Menschen zu ihrer Sexualität. Ob sie lügen? Bin ich hoffnungslos altmodisch, oder habe ich eine überhitzte Phantasie? Hugo wollte doch nur ein bißchen Wärme und Nähe, die mir letzten Endes auch guttaten. Nein, ich will im Grunde keinen Kerl mehr im Bett, sage ich mir und brühe den Kaffee auf. Schluß damit.
    »Hat Regine eigentlich einen Freund?« fragt Hugo.
    Im Moment nicht, aber gelegentlich. Soll ich ihm sagen, daß es fast immer verheiratete Männer sind? Ich lasse es lieber. Heidemarie wird heute anrufen und ihm genug Sorgen machen, denn er kann seinen telefonischen Trost nicht ständig verweigern. Ob er ihr gesteht, daß sie eine kleine Schwester hat? Ich fürchte, daß seine Eitelkeit ihn rücksichtslos machen könnte, und verbiete es.
    »Wo denkst du hin, Charlotte, das beichte ich erst, wenn es ihr besser geht«, behauptet er, »außerdem sind nicht alle Menschen so eifersüchtig wie du.«
    »Da hast du allerdings recht, Anton«, sage ich.
    Hugo zuckt noch nicht einmal zusammen. Aber etwas später sagt er: »Du bist auffallend stimmungsanfällig, vielleicht solltest du etwas dagegen einnehmen. Willst du meine Pillen einmal ausprobieren?«
    Ich sehe ihn so entsetzt an, daß er lachen muß.
    Als das Telefon klingelt, ist es nicht Heidemarie, sondern meine Schwiegertochter. Sie druckst herum. Ob ich es schlimm fände, wenn Ulrich und sie für zwei Wochen nicht erreichbar wären? Sie hätte es mir bisher nicht zu sagen gewagt. Ich atme tief durch, wir hatten nie öfter als einmal im Monat miteinander telefoniert. »Ulrich hat eine Einladung nach Peking zum Sinologenkongreß«, sagt sie, »du weißt ja, wie er ist, meistens will er allein verreisen. Aber diesmal habe ich ihn weichgeklopft. Regine weiß Bescheid und wird die Stellung halten.«
    Auch Hugo hält diese Nachricht nicht für sensationell, er nimmt es aber zum Anlaß, nach Ulrichs Kindern zu fragen.
    »Die Fotos von Cora hast du doch bereits bewundert«, sage ich, »sie ist ein kleines Luder.«
    »Aber sie scheint die einzige zu sein, die deine roten Haare geerbt hat«, sagt Hugo, »und was macht der Sohn?«
    Mein Enkel Friedrich hat endlich eine Stelle an der Universität Halle ergattert, wahrscheinlich macht er nun doch eine wissenschaftliche Karriere wie sein Vater. Ich zupfe mir ein weißes Haar vom Pullover, und dabei fällt mir noch etwas ein: »Veronika - meine Tochter im fernen Kalifornien - färbt sich neuerdings die Haare tizianrot, wie findest du das?«
    Hugo müßte es erst einmal sehen.
    »Aber Charlotte, die flotte Kokotte, hatte Haare wie eine rote Karotte«, reimt er.
    »Olle Klamotte«, antworte ich.
    Hugo und ich sitzen den ganzen Abend vorm Fernseher. Erst bewundern wir normannische Wildschweine, stellen dann aber mit Befremden fest, daß die schweren Schwarzkittel ein rasantes Tempo anschlagen, um ein schwächliches Kaninchen zu jagen, zu fangen und zu

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