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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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fressen. »Mach Sache«, brummt Hugo.
    Der nächste Film spielt in Amerika und behandelt einen Flugzeugabsturz. Nichts Grünes mehr, kein Wald, keine Wiesen, Beton und Blech beherrschen die Szene. Pisten, Autos, Flieger. Am Ende ist alles verwüstet. Diesmal lautet Hugos Kommentar: »Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand.«
    Dann kommen auch noch Katastrophenbilder. »Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt. Gerettet alle. Nur einer fehlt.« Hugo strahlt. »Es war immer mein Traum, einmal im Leben ein Held zu sein, aber als Büchermensch hat man kaum Gelegenheit dazu. Erinnerst du dich, daß ich als junger Mann Förster werden wollte? Damals hatte ich die Welt der Literatur noch gar nicht entdeckt. An den Krieg und die Gefangenschaft mag ich ungern zurückdenken, aber in der Nachkriegszeit lebten wir ein wenig wie Robinson - alles mußte neu angepackt und organisiert werden. Das hat mir regelrecht Spaß gemacht.«
    Es wird Zeit für den Helden, ins Bett zu gehen. Mein Schlafzimmer hat weder Schloß noch Riegel, ich habe wenig Lust, heute nacht wieder besucht zu werden. Aber das Schicksal kommt mir zu Hilfe. Hugo meint: »Ich muß dringend auf die Bank. Morgen werden wir uns ein Taxi nehmen und in die Stadt fahren, da gilt es fit zu sein. Ich will mich früh aufs Ohr legen. Nichts ist anstrengender als Asphaltmärsche.«
    Weder Felix noch Regine haben Zeit, Chauffeur zu spielen. Meine Kondition ist besser als Hugos. Anfangs ist er noch munter und begrüßt die St. Ludwigskirche, die dem Pantheon in Rom nachgebildet wurde, mit fröhlichem: »Ei, guck emal! Die Käsglock!« Der Anblick der runden Kuppel läßt mich immer an Fanni denken, die dort ihren ersten katholischen Gottesdienst besucht hatte. Doch schon nach kurzer Zeit ermattet Hugo und steuert ein Café an, um sich mitten auf dem Luisenplatz ein Eis zu bestellen. »Scheußlich«, sagt er zum Einkaufscenter, das seit zwanzig Jahren die Stelle des Alten Palais einnimmt, und »ein Wunder« zum Monument. Es ist in der Tat seltsam, daß unser gesamtes jetziges Panorama, auch der Marktplatz und mein Elternhaus, in Schutt und Asche lag, aber das hohe Denkmal einsam überlebte.
    Auf einem schweren Quader ruht ein Kranz, aus dem die rote Sandsteinsäule herauswächst. Früher bin ich die Wendeltreppe im Inneren der dorischen Säule hinaufgestiegen, um vom Balkönchen aus die Aussicht zu genießen.
    Hugo liebt den Langen Ludwig, der dort oben thront und dessen Grünspanmantel mit Epauletten und antikem Faltenwurf ihm ein majestätisches Aussehen verleiht. Als er das Eis geruhsam ausgelöffelt hat, nähert sich Hugo seinem Freund und studiert den Säulenschaft: Zu diesem Monument wurde der Grundstein gelegt am XIV Juny MDCCCXLI, dasselbe ward enthüllt am XXV Aug. MDCCCXLIV. Unter der feierlichen Inschrift blaues Kreidegekritzel: Legalisiert Hanf!
    Nun ist die Reihe an der Deutschen Bank, und Hugo bittet mich, ein wenig zu warten. Da wir den Platz im Café bereits aufgegeben haben, setze ich mich zu den jungen Leuten auf die Stufen des Denkmals. Ich warte eine geraume Weile, dann wird es mir unheimlich. Was, wenn es ihm nun wieder schlecht wird und er ohnmächtig vor einem Bankschalter zu Boden sinkt? Aber er wollte mich bei seinen Transaktionen offenbar nicht dabeihaben.
    Schließlich kommt Hugo, eine Plastiktüte schwenkend, aus einem Kaufhaus heraus. Er sucht ein neues Sitzplätzchen, und wir wenden uns dem Marktplatz zu. Mit Blick auf das Schloß beginnt die zweite Rast.
    »Ich habe ein Konto eröffnet«, sagt er, »und werde mir mein Geld hierher überweisen lassen. Der Bub wird sich sicher freuen, wenn ich ihm ein Auto kaufe.«
    Ob das richtig ist? Bloß nicht verwöhnen, ist meine Devise. Felix lebt in einer Wohngemeinschaft und kann den Wagen seines Freundes ausborgen, abgesehen davon leiht ihm Regine oft genug ihr ungepflegtes Fahrzeug.
    »Als kleiner Junge war ich einmal dort im Schloß«, erzählt Hugo und deutet auf den Jubelbalkon, über dessen hoher runder Sprossentür das goldene herzogliche Wappen glänzt, »das war für mich etwas Wunderbares, es bedeutete mehr als für die heutigen Kinder ein Besuch in Disneyland.«
    »Und was hast du eingekauft?« frage ich neugierig.
    Hugo will es nicht verraten; ich hoffe, daß er mir etwas unsinnig Schönes schenken will.
    Wieder gehen wir ein paar Schritte. Als wir die Stadtkirche erreichen, ist sie natürlich verschlossen. Hier wurden Hugo und Ida getraut. »Weißt du noch...«, fängt er an, taktloser

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