Kalt ist der Abendhauch
Wäsche, verrotteten Kartoffeln, schimmligem Mief.
»Das war mein genialer Trick«, prahlt Hugo, »ich hatte einen kleinen Frischluftspalt zum Kaminschacht gebohrt. Gase, die sich durch Fäulnis und Verwesung bildeten, konnten ganz einfach nach draußen abziehen.« Er wartet auf Beifall.
»Du warst wirklich ein toller Hecht«, sage ich gedehnt.
»Er muß geschrumpft sein«, überlegt Hugo, »wahrscheinlich muß ich das Loch viel tiefer ansetzen, sonst kriegen wir ihn nicht zu fassen.« Er schwingt erneut die Axt und zeigt mir, daß ein Holzfäller in ihm schlummert. Diesmal prasseln gleich mehrere Ziegelsteine herunter. Als sich der Staub gesetzt hat, greift Hugo beherzt zum zweiten Mal in die dunkle Gruft. - Wo habe ich nur meine Taschenlampe? - Mit großer Anstrengung zieht er ein Stück vorzüglich erhaltenen Kleppermantel heraus. »Das nenne ich Wertarbeit...«, sinniert er. Beim nächsten Fischzug kommt eine Hand zum Vorschein, und ich schreie laut auf.
»Was macht ihr beiden denn eigentlich?« fragt auf einmal eine fremde Stimme. Wir haben nicht gehört, daß eine dritte Person den düsteren Keller betreten hat. Hugo läßt die Axt mit Gepolter fallen.
»Aber Oma, ich bin's doch nur, Cora«, sagt die junge Frau. Ich habe meine Enkelin lange nicht mehr gesehen, aber an den roten Haaren erkenne ich mein eigen Fleisch und Blut. »Ihr seid ja fix und fertig«, sagt sie freundlich, »kommt erst einmal nach oben, dort stand ein rotglühender Kessel ohne Wasser auf dem Herd, soll nicht gut fürs Email sein.«
In der Küche angekommen, macht Cora Kaffee. Hugo und ich blicken uns betroffen an, wir sehen wie Gespenster aus und können die frischen Wecken nicht anrühren.
»Meine Eltern amüsieren sich bekanntlich in China«, sagt Cora. »Sie wußten, daß ich zu einem Klassentreffen nach Heidelberg komme, und haben mir deinen Schlüssel hinterlegt. Ich soll mal Visite machen, haben sie befohlen.«
Hugo hat sich etwas gefangen und beginnt, meine hübsche Enkelin zu betrachten. Cora ist sehr schlank geworden, trägt einen smaragdgrünen Lederanzug und Stiefel bis zum Oberschenkel. Leider macht sie sich sofort eine Zigarette an und verschmäht meine knusprigen Brötchen. »Kind, wie geht's dir denn?« frage ich. »Hast du Nachricht von den Eltern?« Dabei fällt mir ein, daß sie kein gutes Verhältnis zu Ulrich und Evelyn hat und wahrscheinlich nur im Elternhaus abgestiegen ist, weil beide verreist sind.
»Na, für die kurze Zeit werden wir uns ja wohl keine Briefe schreiben«, sagt sie schnippisch, »mir geht's ausgezeichnet. Ich habe Geld wie Heu und kann machen, was ich will.«
Nach diesem unverfänglichen Geplauder fangen wir nun doch alle drei an zu essen. Cora strahlt Hugo an; seit sie drei war, weiß sie genau, wie man Männer becirct. Im übrigen ist sie auch zu mir charmant und mustert mich mehrmals mit Interesse. Offensichtlich hat man sie bereits über meine Beziehung zu Hugo informiert.
»Ich habe eine Taschenlampe im Auto«, sagt sie plötzlich, »wir könnten nach dieser kleinen Gedankenpause euren Fund im Keller genauer in Augenschein nehmen.«
Sollen - beziehungsweise müssen - wir sie einweihen? Falls sie an einen harmlosen »Fund« glaubt, wird sie Vater, Mutter und Gott weiß wem davon berichten, ja vielleicht bekommt sogar die Presse Wind davon.
»Cora«, sage ich im Flüsterton, »es handelt sich um ein Geheimnis.«
Das hört jeder gern. »Ich bin verschwiegen wie ein Grab«, behauptet sie.
»Nun«, sage ich diplomatisch, »ich glaube schon, daß du zu deiner alten Großmutter hältst, aber in diesem Fall darfst du weder die Familie noch deine beste Freundin und deinen Liebsten - falls du gerade einen hast - einweihen.«
»Maja und ich sind im Augenblick etwas zerstritten«, sagt sie, »und ein Liebster kommt mir so schnell nicht mehr ins Haus.«
Ich glaube ihr kein Wort.
Aber Hugo ist nicht mehr zu bremsen. Er hat Feuer gefangen, was zu erwarten war. »Vor etwa fünfzig Jahren«, sagt er und zieht vorsichtshalber sein Schienbein ein, »ist hier ein Unfall geschehen. Deine Großmutter war auf die Witwenrente angewiesen... «
Cora scheint belustigt und schaltet sofort. »Klasse! Handelt es sich etwa um meinen leiblichen Großvater? Kinder, wie habt ihr das bloß angestellt?«
Ich schüttle mein Haupt. Was geht es diese unreife Tomate an, wie ich gelitten habe?
Hugo erklärt: »Er war angeblich im Krieg gefallen. Aber eines Nachts suchte er uns wie ein dunkler Schatten aus der
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