Kalt ist der Abendhauch
Vergangenheit heim. Sterbenskrank entließ man ihn aus russischer Gefangenschaft; er hat sich bei seiner Ankunft in jener Nacht zu Tode gesoffen.«
Eine abgemilderte Version, registriere ich dankbar. »Hugo hat mir die Rente gerettet, indem er den Totgesagten im Keller eingemauert hat«, ergänze ich.
Cora überlegt: »Hätte er denn als Lebender keine
Invalidenrente erhalten?« Sie betrachtet uns. »Ihr wart ein Liebespaar?« sagt sie. »Okay, kann mir schon denken, wie es gelaufen ist.« Cora reimt sich einen Mord zusammen, für den sie vollstes Verständnis hat. »Es wäre wirklich falsch, meinen Eltern auch nur die leiseste Andeutung zu machen«, sagt sie, »die sind unheimlich spießig, wenn es um Sex geht.«
Nun müssen Hugo und ich lachen.
Cora kichert mit, die Lage entspannt sich ein wenig. »Warum laßt ihr ihn nicht ruhen?« fragt sie. »Wenn es fünfzig Jahre lang gutging, wird es doch jetzt keinen Ärger mehr geben.«
Stimmt, aber ich erkläre, daß ich nicht mit ewigem Leben rechne und meiner Tochter gern ein ordentliches Haus vererben möchte.
»Edel«, sagt Cora.
»Ich wollte eigentlich nur das Gebiß entfernen«, sagt Hugo, »wenn du uns nicht gestört hättest, wäre das längst geschehen.«
»Auf geht's!« ruft Cora. »Runter in den Keller!«
Hugo meint zwar, das sei nichts für junge Damen, aber sie grinst nur und holt die Taschenlampe.
»Ob eine Exhumierung etwas für alte Damen ist, scheint dich weniger zu interessieren«, sage ich zu Hugo.
»Aber du kannst doch ohne weiteres hier oben in deiner gemütlichen Küche bleiben«, versichert er heuchlerisch, »Cora und ich schaffen es auch ohne dich.«
Das wäre ja noch schöner, schließlich geht es um meinen Ehemann, da lasse ich mich nicht abschieben.
Cora leuchtet in die Mauerspalte. Bernhard ist ziemlich tief abgesunken; auch das vergrößerte Loch paßt nicht zur Kopfhöhe. Die Hand, die Hugo bereits ans Licht gezogen hat, ist einigermaßen erhalten.
»Interessant«, sagt Cora, »kommt mir irgendwie bekannt vor... «
»Das sind die Nerven«, meint Hugo und beginnt, nach dem Schädel zu angeln. Aber offensichtlich ist Bernhard nicht in Stücke zerfallen, der Mund scheint fest geschlossen zu sein, das Gebiß ist überhaupt nicht zu sehen, geschweige denn mit einem Handgriff zu lockern. Ohne zu zögern, nimmt Cora die Axt und beginnt mit erstaunlich kräftigen Schlägen und ohne uns um Erlaubnis zu fragen, auf die Mauer einzuschlagen. Da Hugo schon Vorarbeit geleistet hat, läßt sie mit zwei starken Hieben die Steine prasseln, wir können noch eben zurückspringen. Jetzt erkennt man deutlich den zusammengesackten Bernhard, und mir wird schlecht.
»Ich hole uns einen Schnaps«, sagt Cora, »denn im Augenblick seht ihr ganz schön alt aus.«
»Ziemlich abgebrüht, die Kleine«, sagt Hugo schockiert.
Ich sitze neben ihm auf meiner ehemaligen Kochkiste und würde gern rauchen, obwohl ich es mir vor Jahrzehnten abgewöhnen mußte. Merkwürdigerweise sagt auch er: »Ein Königreich für eine Zigarette! Wie schade, daß ich nicht mehr darf.« Aber schon naht Cora mit dem köstlichen Mirabellengeist, den ein Bauer unserer Regine aus Dankbarkeit für Heilerfolge geschenkt hat.
»Keine gute Idee, nur das Gebiß zu entfernen«, sagt Cora, »man sieht frisches Mauerwerk und riecht den Braten...« Mir gefällt nicht, wie frivol sie von ihrem Großvater spricht, aber andererseits bin ich auch kein gutes Vorbild.
»Aber was sollen wir machen?« fragt Hugo. »Ein paar Zähne sind schnell entsorgt, aber der Rest...«
»Auch kein großes Problem«, meint Cora, »ich nehme ihn mit nach Italien. Unter meiner Terrasse ist Platz genug.«
»Um Gottes willen! Stell dir vor, die Zöllner öffnen den Kofferraum!«
»Ist mir noch nie passiert«, sagt Cora, verwirft aber ihren Plan; sie ist furchtlos, aber nicht dumm. »Warum nicht im Garten meiner Eltern?« schlägt sie vor. »Dort liegen schon zwei Hunde und mein Meerschweinchen begraben. Unter dem Kirschbaum würde es überhaupt nicht auffallen, da wird nie einer buddeln.«
Und abgesehen davon wird Ulrich sein geliebtes Haus weder verkaufen noch vermieten, sondern noch lange bewohnen. Sollte es Cora einmal erben, dann wird sie wissen, was zu tun ist.
»Eine junge Dame«, beginnt Hugo wieder, obgleich Cora eher einer Mafiosobraut gleicht, »sollte aber im Garten ihres Vaters keine tiefen Gruben ausheben.«
»Geht in Ordnung«, sagt Cora, »ich bekomme starke Hilfe, denn ich bin nicht allein hier,
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