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Kalt ist der Abendhauch

Kalt ist der Abendhauch

Titel: Kalt ist der Abendhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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und letzte, den wir gemeinsam verbrachten. Ulrich und Veronika schlossen sich dem Bund Europäischer Jugend an, der preiswerte Bus- und Fahrradtouren für junge Leute organisierte.«
    »Und unsere kleine Regine?«
    »Die wollte noch bis zu ihrer Heirat mit mir gemeinsam verreisen. Ich muß gestehen, daß ich es gründlich leid war.«
    Hugo braucht nicht zu wissen, daß mir Regine einige interessierte Bewerber nicht etwa ausspannte, sondern in eifersüchtiger Wachsamkeit geradezu verscheuchte.
    »Ist Veronika glücklich verheiratet?« fragt Hugo.
    Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls habe ich mir - wie so oft, wenn es um die Kinder geht - Vorwürfe gemacht. Fanni hatte recht, Veronika lechzte nach Verboten, strengen Regeln. Sie gehört zu jenen Menschen, die sich einen starken Vater wünschen, einen alttestamentarischen Alleswisser. Ich habe sie gewähren lassen und damit überfordert. In Kalifornien waltet ein liberaler Geist, dem sich meine Tochter, ihr Mann und die Söhne leider weitgehend verschlossen haben. Einerseits sind sie ein wenig bigott, was ich hasse, andererseits engagieren sie sich für Aidskranke, worauf ich stolz bin.
    »Ob sie glücklich verheiratet ist? Glück ist ein relativer Begriff«, antworte ich, »oft erkennt man erst nach Jahren, daß man vor langer Zeit fünf Minuten lang glücklich war.«
    Hugo ist fassungslos. »Aber Charlotte, so negativ warst du früher nie! Das Alter hat dich hart gemacht.«
    »Oder klarsichtig«, sage ich. Dabei fällt mir ein, daß ich wahre Sternstunden nur erlebt habe, wenn ich ganz allein war. Meine stillen weißen Rosen.
    »Und mit mir...?« fragt Hugo; weiß der Teufel, was für eine Antwort er sich wünscht.
    Ich habe immer auf das große Glück mit ihm gewartet, wir haben es irgendwie verpaßt. »Wir waren ja nie lange zusammen«, sage ich vorsichtig.
    »Du bist die einzige Frau...«, beginnt Hugo wieder, aber ich falle ihm ins Wort: »Hier irrt Goethe.«
    Hugo lacht, gibt nicht auf. Nur ich könne ihn aus tiefster Seele verstehen, nur mit mir habe er herzlich gelacht, nur ich besäße so viel Temperament, Leidenschaft, Humor und Verstand, ganz zu schweigen von meiner Schönheit und Anmut.
    Zugegebenermaßen höre ich das nicht ungern und werde am Ende so weich, daß ich den alten Charmeur küsse. Unsere Gebisse klappern gegeneinander, und der Zauber verfliegt. Was faßt man am besten an, wenn man unser Alter erreicht hat? Die runzligen Hände, die schütteren Haare, die eingefallenen Wangen? Die amorphen Weichteile kommen sowieso nicht mehr in Frage.
    Hugo ahnt meine Bedenken. »Wenn man in die Jahre kommt, sollte sich die körperliche Anziehung in eine herzliche Freundschaft und liebevolle Fürsorge umwandeln.«
    »Du hast vorhin von Speck, Zwiebeln und Pfifferlingen gesprochen«, sagt Hugo, »da lief mir bereits das Wasser im Mund zusammen, und ich konnte gar nicht mehr richtig folgen. Was kriegen wir denn heute?«
    Während unseres Ausflugs ist das Essen gebracht worden, ich hatte dem jungen Fahrer meinen Hausschlüssel gegeben. Hugo und ich betrachten die Bescherung: Erbsbrei mit Kasseler (dabei habe ich keinen Senf im Haus), alles bereits kalt, weil wir die Zeit vertrödelt, die Tabletten vergessen und noch nicht einmal die Betten gemacht haben.
    Hugo kann nicht kochen, aber er hat Phantasie. In der Küche machen wir Backe-Backe-Kuchen, formen aus dem Erbsbrei wunderliche Klumpen - er modelliert Herzen, ich schichte rundliche Berge -, legen sie auf ein Backblech und bestreuen sie mit Parmesan und Kümmel. Hugo legt auf jeden meiner Hügel eine Rosine, so daß eine Art Busen entsteht. Das Kasseler zerschnippeln wir und erwärmen es in angedicktem Rotwein. Es schmeckt entsetzlich, aber wir lachen wie die Deppen. Ich werde wieder ganz unsicher in meinen Absichten; aber als mir Hugo das verkrustete Backblech zum Abkratzen überläßt, sind die romantischen Verwirrungen schnell beigelegt. Als ich den Rest eines Herzens in den Müll schabe, klirrt es. Hugos Ehering fällt aus grüngelber Erbspampe in verschmierte Papiertaschentücher, rollt in eine Filtertüte mit Kaffeemehl und kippt in die verwesenden Blätter meines dornigen Rosenstraußes. Ohne einen Finger krumm zu machen, sehe ich mit mildem Lächeln zu, wie sich Hugo beim Bücken, Wühlen und Sortieren mächtig plagen muß.
    Heidemaries Anrufe kommen zwar regelmäßig, aber ihre Laune ist unberechenbar - einmal euphorisch, das nächste Mal depressiv. Sie sorgt sich aber im großen ganzen mehr um ihren

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