Kalt, kaltes Herz
lieber gar nicht vorstellen, was los wäre, wenn sie den Kerl nicht geschnappt hätten.«
»Hoffentlich beruhigen sie sich wieder.«
»Der Typ ist echt durchgeknallt, was? In der Zeitung hieß es, er hätte sie zerstückelt.«
Ich wollte nicht weiter darauf eingehen. »Wir haben uns nur kurz unterhalten.«
»Ah.« Er sah mir ins Gesicht und betrachtete darauf wieder meine Hand. Nachdem er einen weiteren Faden vernäht hatte, schnitt er ihn ab. Dann runzelte er die Stirn. »Da es sich hier um einen Arbeitsunfall handelt, brauche ich dir wohl nicht die üblichen Fragen zu stellen.«
Ich sah zu, wie die Nadel in meine Haut drang. »Übliche Fragen?«
»Du weißt schon. Bei Schnittwunden am Handgelenk gibt es ein vorgeschriebenes Procedere. Ich wäre sogar verpflichtet, einen Psychiater hinzuzuziehen. Aber da du ja selbst Psychiater und außerdem mein Freund bist, nehme ich an, daß du es mir sagen würdest, wenn ich Grund hätte, mir Sorgen um dich zu machen.«
»Sorgen? Hältst du mich etwa für selbstmordgefährdet?«
»Reine Routine.«
»Nels, ich habe nicht versucht, mir was anzutun. Dazu bin ich viel zu eitel. Ich spiele eher mit dem Gedanken, mich klonen zu lassen.«
Grinsend schnitt er den Nylonfaden über dem letzten Knoten ab. Es waren fünf Stiche nötig gewesen. »Ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen, wegen der Sache mit Kathy und so.« Er warf die Nadel auf ein Plastiktablett und zog die Handschuhe aus. »Aber ihr beide hattet ja schon öfter eure Krisen.«
»Ich wußte gar nicht, daß die Gerüchteküche hier so gut funktioniert.«
»Trevor ist und bleibt eben ein Ausbund an Verschwiegenheit.«
»Trevor? Der ist doch Schnee von gestern.« Nels faltete die chirurgischen Tücher zusammen, stopfte sie in einen Wäschekorb und ging zum Becken, um sich die Hände zu waschen. »Zum Teufel mit ihm.«
»Nels ...«
Er drehte sich um und sah mich an. »Komm, wir trinken einen Kaffee.«
»Die Tröstertour kannst du dir für trauernde Hinterbliebene aufsparen. Sag mir einfach, was los ist.«
»Soll ich wirklich?« Mit einem Seufzer lehnte er sich ans Waschbecken. »Okay. Gestern abend habe ich Buck Berensons Dienst übernommen. Ein Kind mit schweren Gesichtsverletzungen wurde eingeliefert – ist durch eine Glastür gelaufen. Also rufe ich Trevor an, weil ich einen plastischen Chirurgen brauche. Ich mag ihn zwar nicht und finde ihn ziemlich daneben, aber daß er ein guter Chirurg ist, kann man nicht abstreiten. Wenn ich mich mal verletzen sollte, würde ich mich jederzeit von ihm operieren lassen. Jedenfalls kommt er rein – es war so zwischen acht und neun – und fing gleich an, mich zu hetzen ... Willst du wirklich keinen Kaffee trinken gehen?«
»Nein, danke.«
»Schon gut.« Er betrachtete den Boden. »Ich rufe Trevor an, er kommt und sagt als erstes, daß er das mit dem Kind schnell erledigen will, weil er ...«
»Jetzt spuck's schon aus.«
»Weil Kathy bei ihm zu Hause auf ihn wartet.«
Ich atmete tief durch. »Damit hätte ich rechnen müssen.«
»Ich fühle mich wie ein Schwein«, meinte Nels kopfschüttelnd. »Ich hätte es dir nicht sagen dürfen.«
»Es ist besser, so früh wie möglich zu wissen, woran man ist.«
»Willst du drüber reden?«
»Da gibt es nichts zu reden. Kathy war eng mit Sarah Johnston befreundet. Wo sie sich Trost sucht, ist ihre Sache.« Ich krempelte meinen Ärmel herunter und stand auf.
»Kann ich wirklich nichts für dich tun?«
»Doch, da wäre etwas.«
»Raus damit.«
»Sag mir Bescheid, wenn du einen merkwürdigen Fall reinbekommst. Kratzer. Bißwunden. Spuren eines Kampfes.«
»Das ist aber keine sehr beruhigende Bitte von jemandem, der an Lynns neuestem Mordfall arbeitet. Sie haben doch den Richtigen erwischt, oder?«
»Das werden wir bald erfahren.«
Ich ging aufs Klo und verriegelte die Tür. Dann drehte ich den Hahn auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Ich mußte unbedingt wach bleiben und den Überblick behalten, doch ich sah ständig Trevor und Kathy vor mir. Auch wenn ich mir vor Augen hielt, daß sie eben erst ihre Freundin Sarah verloren hatte, begriff ich einfach nicht, warum sie wieder zu Trevor gezogen war, nur weil ich kokste. Vielleicht hatte Trevor aus einem Anruf von Kathy ein Rendezvous gemacht. Ich war ganz und gar nicht in der Stimmung, sie zu sehen, aber ich brauchte die Information aus erster Hand. Doch zuerst öffnete ich das Päckchen, rieb mir eine Prise aufs Zahnfleisch und schnupfte eine Linie, wobei ich
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