Kalt, kaltes Herz
Inzwischen fühlte ich mich ein wenig besser. Wenn ich zweitausend einzahlte, würde die Bank wahrscheinlich ein paar Wochen Ruhe geben. Und ich hatte noch immer genug Geld, um zu verhindern, daß mir das Koks ausging, bevor ich soweit war, endgültig Schluß damit zu machen. Vielleicht konnte ich ja auch der Hancock etwas zustecken, damit sie die Videoaufnahmen von mir vor dem Emerson verlor. Für einen Menschen, der soviel von der Kirche redete wie sie, war diese Institution sowieso eine Art Kokainersatz. An der nächsten roten Ampel holte ich mein Päckchen heraus und schnupfte eine Prise.
Zur Veteranenklinik brauchte ich eine halbe Stunde. Das Büro für Gesundheit und Sozialleistungen hatte seit meiner Zeit als Assistenzarzt die Adresse nicht geändert. Cliff Pidrowski, ein ehemaliger Alkoholiker, der in Vietnam beide Beine verloren hatte, leitete den Laden immer noch. Er erkannte mich sofort. »Ach, du meine Güte«, lachte er. »Schließt das Geld weg.« Im Rollstuhl kam er hinter dem Schreibtisch hervor.
»Soviel habe ich euch nun auch wieder nicht gekostet«, antwortete ich kichernd und schüttelte ihm die Hand. Ich freute mich, als ich sah, daß er sich nicht die Haare abgeschnitten hatte und weiter einen geflochtenen Zopf trug. »Das glaubst auch nur du. Mir kam es eher vor, als hätte sich dein Name bei allen obdachlosen Veteranen in der Gegend rumgesprochen. Man brauchte sich nur mit einer kleinen Depression oder einem posttraumatischen Streßsyndrom in der Notaufnahme zu melden und konnte zusehen, wie der Zauberdoktor die Geldquellen zum Fließen brachte. Zauberdoktor, nennen sie dich eigentlich immer noch so?«
»Du warst der einzige, der mich so genannt hat.« Ich nahm Platz. »Ich habe dir nur geholfen, Gelder zu verschenken, die du ohnehin verschenken wolltest.«
»Ach, wirklich?« Das habe ich wahrscheinlich irgendwie verdrängt. Wie ich mich erinnere, hat es mich einige Nerven gekostet, dir zu verklickern, daß Obdachlosigkeit nicht immer mit dem Krieg zusammenhängt. Man kann auch einen Schatten gehabt haben, bevor man im Krieg war.«
»Dann sollte man auch nicht eingezogen werden. Außerdem müßte Uncle Sam eigentlich allen seinen Opfern helfen, ohne nach den Gründen zu fragen.«
Er hielt sich die Ohren zu. »Ich habe ein Déjà-vu-Erlebnis. Du willst dich doch nicht etwa für einen Job vorstellen?«
»Hältst du die Regierung für so blöd, mich zu nehmen? Nein, ich beschäftige mich noch immer mit Gerichtsfällen in North Shore.«
»Die echten Kaputtnicks waren dir schon immer am liebsten.« Er lachte. »Aber ich muß zugeben, daß du wunderbar mit ihnen klargekommen bist. Wahrscheinlich haben sie gespürt, daß du mindestens so gefährlich bist wie sie.«
»Ich bin doch ganz harmlos.«
Er verdrehte die Augen. »Tut mir leid, ich hab das ganz anders im Gedächtnis. Warum bist du hier, wenn du keine Arbeit suchst?«
»Du mußt mir einen Gefallen tun ... natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Na klar. Solange es Uncle Sam nichts kostet.«
»Ich brauche Einblick in eine Wehrdienstakte.«
»Die sind vertraulich.«
»Deswegen ist es ja ein Gefallen.«
Er rollte zu seinem Computer hinüber. »Wenn dich einer fragt: Ich habe dir nie geholfen.«
»Leute, die dich kennen, würden mir das unbesehen glauben.«
»Immer noch der gleiche alte Witzbold. Wie heißt denn der Mann?«
»Sein Vorname ist George. Der Familienname fängt mit La an.«
Er tippte ein L und ein a ein. »Das engt den Kreis auf eine Personenzahl ein, die etwa der Bevölkerung von Rhode Island entspricht. Wenn man alle rauspickt, die George heißen, sind es immer noch ein paar hundert. Welcher Krieg?«
»Vietnam.«
»Das wäre ja schon mal was.«
»Diagnose?«
»Schizophrenie.«
»Augenfarbe?«
»Blau.«
»Körpergröße?«
»Etwa einsachtzig.«
»Ich habe hier einen blauäugigen, einszweiundachtzig großen Schizophrenen namens George LaFountaine. Geboren am 5. April 1949• Zur Armee eingezogen am 16. April 1969. Kam am 28 November 1970 vors Kriegsgericht. Verfahren eingestellt. Aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Diagnose: Schizophrenie.«
»Kriegsgericht? Steht da auch, was ihm vorgeworfen wurde?«
»Das ist nicht im Computer vermerkt.« Er drehte sich zu mir um. »Aber er wurde nach seiner Entlassung oben auf 13B behandelt. Insgesamt etwa zwölfmal. Seine Akte müßte im Archiv sein.«
»Und wie komm ich da ran?«
»Indem der Patient dir dazu die Vollmacht erteilt.«
»Keine
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