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Kalt, kaltes Herz

Kalt, kaltes Herz

Titel: Kalt, kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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Chance.«
    »Dann hast du Pech gehabt. Für das Archiv bin ich nicht zuständig, und sie sind sehr heikel, wenn es um Einzelheiten geht. Datenschutz.«
    »Cliff, ich habe den Typen schon untersucht. Er hätte bestimmt nichts dagegen, wenn ich mir seine Akte ansehe, aber im Moment komme ich nicht an ihn ran.«
    »Tut mir leid.«
    Ich seufzte. »Eigentlich wollte ich es ja nicht ausnützen, aber es sieht aus, als müßte ich meine Schulden eintreiben.«
    »Schulden?«
    »Helena?«
    »Und wenn du mich Charisse nennst, bei mir beißt du auf Granit.«
    »Nicht Helena, Helga. Die Sozialpädagogik-Praktikantin. Grellroter Lippenstift. Enger Rock. Ich habe dir mein Bereitschaftszimmer zur Verfügung gestellt, damit du mit ihr allein sein konntest. Damals hast du gesagt, dafür schuldest du mir was.«
    »Das ist doch schon Jahre her. Etwa zehn.«
    »Dein Glück, daß ich keine Zinsen verlange.«
    »So gut war sie nun auch wieder nicht.«
    »Aber sie war gut genug, daß du mitten in der Nacht drei Stunden lang mein Zimmer blockiert hast.« Ich grinste. »Dafür lande ich im finstersten Kerker«, meinte er kopfschüttelnd. »Ist es wirklich so furchtbar wichtig?« Ich nickte.
    Er griff zum Telephon und wählte eine Nummer. »Rusty, hier spricht Cliff. Ich brauche sämtliche Akten, die du über George LaFountaine hast. Großes L, großes F. Ersteinweisung auf 13B am 3. Dezember 1970.
    Sozialversicherungsnummer 010-16-3024. Ich schicke dir einen Psychiater runter, einen gewissen Doktor Clevenger ... Nein ... du brauchst sie ihm nicht auszuhändigen ... Er macht eine Untersuchung zum Thema Sozialleistungen für psychisch Kranke. Ich habe vergessen, ihm eine Genehmigung zu besorgen.« Er zwinkerte mir zu. »Danke, Rusty. Dafür hast du bei mir was gut.« Er legte auf.
    »Danke.«
    »Vergiß es. Rusty hat dir die Akte in etwa zehn Minuten rausgesucht. Im Keller.«
    »Schön, dich mal wiederzusehen.«
    Er nickte. »Ganz meinerseits, Zauberdoktor. Und paß auf dich auf«
    »Kannst dich drauf verlassen.«
    Rusty entpuppte sich als magere, nervöse Frau um die Fünfzig. Sie verzehrte inmitten der kilometerlangen Regale des Patientenarchivs ihr Mittagessen aus einer braunen Papiertüte. Dazu hatte sie sich im Schneidersitz auf dem Boden niedergelassen und an einen der deckenhohen Aktenschränke gelehnt. »Sie dürfen sie aber nicht mitnehmen«, sagte sie, während sie einen etwa fünfundzwanzig Zentimeter dicken Ordner hochstemmte. Dann drehte sie sich um, biß ein Stück von einem Karottenschnitz ab und schluckte ihn ohne zu kauen hinunter.
    »Keine Angst, ich steck nichts in die Hosentasche«, spöttelte ich.
    »Klar, es ist leicht, sich darüber lustig zu machen – bis doch mal was verschwindet. Und wenn dann jemand kommt und das Ding sucht, dann hört der Spaß auf.« Sie sah mich mit todernster Miene an. »Das wäre der Weltuntergang.«
    »Ist gut. Tut mir leid.« Ich setzte mich ihr gegenüber und lehnte in ich auch an ein Regal.
    Sie starrte mich an.
    »Störe ich Sie?« fragte ich.
    »Nur, wenn Sie mir beim Essen zuschauen.«
    Die Empfindungen eines Menschen, wenn er etwas in den Mund steckt, verraten eine Menge über seine Psyche. Ich mußte mir vor Augen halten, daß ich nicht die Zeit hatte, dieses Thema zu vertiefen. »Kein Problem«, sagte ich deshalb und schlug die Akte auf. Innen auf dem Deckel war ein Schwarzweißphoto von George LaFountaine aufgeklebt. Selbst mit soldatischem Haarschnitt war er ein gutaussehender Mann mit einem strahlenden, selbstbewußten Lächeln. Ich betrachtete seine Augen und suchte nach einer Ähnlichkeit mit Westmoreland. Aber ich fand keine. Als ich die Akte durchblätterte, stieß ich auf ein Farbphoto, das mit 1985 datiert war. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. LaFountaine hatte sich in Westmoreland verwandelt. Seine Wangen waren eingefallen, und das Lächeln war einem wilden Zähne-fletschen gewichen. Er hatte zottiges, verfilztes Haar. Angst standin seinen Augen. Ich fühlte mich wie ein Einbrecher, der durch ein fremdes Haus streift. Oder schändete ich ein Grab? Westmoreland hatte LaFountaine beerdigen wollen, und nun exhumierte ich ihn wieder. Vom moralischen Standpunkt aus betrachtet, wäre es das Beste gewesen, die Akte zurück ins Regal zu stellen und alles auf sich beruhen zu lassen, was Westmoreland für immer in dieser Katakombe versenkt hatte. Gab ihm mein Vertrauensbruch nicht erst recht einen Grund zur Paranoia? Vielleicht war es meine eigene morbide Neugier, die mir in diesem

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