Kalt, kaltes Herz
Roboter und Maschinen sind bei ihm eine fixe Idee.
Es handelt sich unserer Kenntnis nach um seine erste Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Er behauptet, niemals an einer psychischen Krankheit gelitten zu haben.
Seine kindliche Entwicklung ist von Bedeutung, da er von beiden Eltern körperlich mißhandelt wurde. Wir wissen nicht, ob es dabei zu einem Hirntrauma oder Bewußtseinsverlust gekommen ist.
Ich schloß die Augen. Jeder Gewalttäter, den ich bislang behandelt hatte, war als Kind selbst Opfer von Gewalt geworden. Ich nahm mein Kokspäckchen heraus, schnupfte den Rest und las weiter.
Körperliche Erkrankungen im Erwachsenenalter sind ebenfalls nicht bekannt. Es gibt keine Anzeichen für Alkoholmißbrauch oder dem Konsum illegaler Drogen.
Wir werden Mr. LaFountaine mit Psychopharmaka, aller Wahrscheinlichkeit nach mit Haloperidol, behandeln. Ziel der Therapie ist ein Abklingen der paranoiden Wahnvorstellungen, der weiteren psychotischen Symptome
und
seiner gewalttätigen Neigungen. Angesichts der Tatsache, daß der Patient eine Gefahr für andere darstellt, rechnen wir mit einem längeren stationären Aufenthalt.
Dr. med. Bruce Rightwinder
Behandelnder Psychiater, 13B
LaFountaines erster Klinikaufenthalt hatte fünf Monate gedauert. Das Haloperidol konnte nichts gegen seine Paranoia ausrichten. Auch Thorazin half nichts. Allmählich fragte sich Dr. Rightwinder, ob die Symptome seines Patienten nicht auf eine latente psychotische Depression zurückzuführen waren. Schließlich hatte er einen Freund verloren. Nachdem die sechswöchige probeweise Verabreichung des Antidepressivums Imipramin auch keine Besserung bewirkt hatte, verordnete Rightwinder zwölf Elektroschock-Sitzungen.
Der Zustand des Patienten besserte sich stetig, und er begann seiner Umwelt mehr Vertrauen entgegenzubringen. Außerdem sprach er nicht mehr von Robotern und Transmittern. Allerdings hatte die Elektroschocktherapie eine einschneidende Nebenwirkung: »Der Patient kann sich an nichts mehr erinnern, was vor seiner Einweisung ins Krankenhaus vorgefallen ist«, schrieb Rightwinder. »Er hat vergessen, daß er am Überfall auf das Lager Son Tay teilgenommen hat, und streitet ab, daß ein ihm nahestehender Mensch gestorben ist. Dieser Gedächtnisverlust gibt zwar Anlaß zur Sorge, wir halten ihn jedoch nur für vorübergehend.«
Für mich hörte es sich eher so an, als hätte man LaFountaines Trauma – nur vorübergehend – in die tiefsten Tiefen seines Großhirns gebombt. Aber psychische Konflikte arbeiten sich hartnäckig zurück an die Oberfläche. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wurde er immer wieder wegen paranoider Wahnvorstellungen stationär behandelt. Jedesmal erhielt er weitere Psychopharmaka und Elektroschocktherapie, und sein Zustand besserte sich langsam. Da einem anderen behandelnden Psychiater die ständigen Rückfälle seltsam erschienen, entschied er, Mr. LaFountaine solle alle zwei Monate ins Krankenhaus kommen, um sich
stabilisierende
Elektroschocks verabreichen zu lassen. Doch ab November19
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ließ sich der Patient nicht mehr blicken:
Mr. LaFountaine versäumte es, seine Termine zur stabilisierenden Elektroschocktherapie wahrzunehmen. Angesichts seiner gewalttätigen Übergriffe in der Vergangenheit und der rezidivierenden Paranoia innerhalb der letzten Jahres wurde bei Gericht die Amtspflegschaft beantragt. Die Polizei wurde aufgefordert, den Patienten ausfindig zu machen und ihn in die Notaufnahme zu bringen. Die Adresse in Charlestown und eine Personenbeschreibung wurden weitergeleitet.
Aber offenbar hatte die Polizei ihn nicht gefunden – bis jetzt. Ich klappte die Akte zu und machte mich auf die Suche nach Rusty. Sie war zwei Gänge weiter mit der Ablage beschäftigt. Ich hielt ihr die Akte hin.
Doch sie machte keine Anstalten, sie entgegenzunehmen. »Sie sehen schrecklich aus«, stellte sie fest. »Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Ich bin nur müde.«
»Ich weiß nicht, ob ich alles verstehe, was Sie mir gesagt haben. Aber wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir ziemlich logisch vor.«
Ich konnte mich kaum auf ihre Worte konzentrieren.
»Haben Sie eine Praxis? Können Sie mir Ihre Karte geben?« Sie wartete eine Weile. »Haben Sie mir überhaupt zugehört?« Eigentlich hätte ich ihr die Wahrheit über mich erzählen können – nämlich daß sich meine Fähigkeiten auf zehnminütige Spontananalysen beschränkten, wie man sie von jedem guten Kaffeehaus-Hellseher bekommen kann. Ich
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