Kalt, kaltes Herz
darauf, es einer sommersprossigen Stripperin mit Künstlernamen Tiffany zu besorgen. Ich leerte meinen restlichen Drink und ging zur Toilette. Meine Umgebung nahm ich leicht verschwommen wahr. Zuviel Alkohol, zu wenig Koks, dachte ich. Es kostete mich einige Konzentration, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und ich sagte mir vor, daß ich die Arme baumeln lassen und den Absatz vor den Zehen auf den Boden stellen mußte. Ich kam an ein paar Typen vorbei, die, aufgereiht wie die Soldaten, vor den Urmalen standen und starr geradeaus blickten. Im Lynx Club findet niemand etwas dabei, wenn man der Möse einer Tänzerin ein Kußhändchen zuwirft. Doch wer einen anderen Gast falsch ansieht, läuft Gefahr, Bekanntschaft mit dem Betonfußboden zu machen. Ich schloß mich in einer Kabine ein und pinkelte. Dann zog ich mein Päckchen heraus, schob mir eine Prise in jedes Nasenloch und schnupfte. Bald war das Schwindelgefühl vorbei. Ich kehrte an meinen Platz zurück.
Inzwischen hatte ein anderes Mädchen mit schimmernden schwarzen Locken zu tanzen begonnen. Dazu lief ein Lied von Bonnie Raitt. Die Tänzerin war als Cowboy verkleidet und trug einen Pistolengürtel und Schießeisen. Allerdings hatte sie unter den Beinlingen nichts an.
Rachel saß mit einem alten Mann an der Bar. Ihre Hand lag auf seinem Knie. Ich setzte mich den beiden schräg gegenüber und bestellte einen Kaffee. Peggy, die Barkeeperin, ziemlich abgebrüht, ungefähr fünfzig und mit etwa zwanzig Kilo Übergewicht, stellte die Tasse vor mich auf eine Cocktailserviette.
»Fünf Dollar, Süßer«, sagte sie. Sie hatte eine angenehme Stimme.
»Einen Fünfer für eine Tasse Kaffee?«
»Willst du einen Schuß Kalúha oder Baileys dazu? Selber Preis.«
»Lieber nicht.« Ich gab ihr sechs.
Sie zog den Rundausschnitt ihres Polyesterhemds herunter, damit ich ihren Brustansatz sah. »Viel Spaß noch«, kicherte sie.
Ich nahm einen Schluck und sah zu Rachel hinüber. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte sie, aber sie hörte weiterhin aufmerksam dem Mann zu. Ich bemerkte eine Flasche Champagner auf dem Tresen. Rachel beugte sich vor, ließ ihre Hand den Oberschenkel des Mannes hinaufgleiten und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Inzwischen hatte das Mädchen auf der Bühne die Beinlinge ausgezogen. Mit geschlossenen Augen kniete sie da und schob sich den Lauf des Revolvers in den Mund. Sie steckte ihn ganz hinein, zog ihn wieder raus, leckte ihn ab und wiederholte das Ganze. Ich stellte mir vor, welche Panik im Lokal ausbrechen würde, wenn die Waffe geladen gewesen wäre und sie sie auf die Zuschauer gerichtet hätte. Ein Massenmord von wahrhaft poetischen Dimensionen, ein Fanal des Zorns. Ich malte mir aus, wie sie auf jeden Mann zuging, der einen Dollar vor sich liegen hatte, ihm zwischen die Beine schoß, sich umdrehte und ihm noch eine Kugel ins Gesicht verpaßte.
»Ich habe alle abgeknallt, die mir Trinkgeld gegeben haben«, würde sie später aussagen. »Der Gnadenschuß. Ich glaubte, die Dollars wären dafür gedacht.« Ich fragte mich, ob man sie wohl für unzurechnungsfähig erklären würde. Da spürte ich, wie sich zwei Hände sanft über meine Augen legten. Sie waren zart und weich, und obwohl ich plötzlich nichts mehr sah, fühlte ich mich geborgen.
»Wenn du die anderen Mädchen angaffst, bin ich beleidigt«, sagte Rachel. Sie nahm die Hände weg und setzte sich neben mich.
Sie trug einen Pferdeschwanz. Ihre hohe Stirn und die bernsteinfarbenen Augen beeindruckten mich noch mehr als beim erstenmal. »Ich fing schon an, mich einsam zu fühlen«, erwiderte ich.
»Ist Trevor weg?« Sie warf einen Blick auf die Plätze, wo wir zuvor gesessen hatten. »Ich dachte schon, heute hätten alle Ärzte Ausgang.«
War das ein Alptraum? »Woher kennst du Trevor?«
»Wir alle kennen ihn. Er ist Stammgast hier. Candy, das Mädchen mit dem Ring, hatte schon mal ... du weißt schon, beruflich mit ihm zu tun.«
Also ging Trevor auch zu Nutten. Ich überlegte, was Kathy wohl dazu sagen würde, daß er ihr Keime von Candy – und wahrscheinlich von halb Revere – übertrug. »Wie gut kennst du ihn denn?« fragte ich.
»Nur so vom Sehen«. Sie lächelte. »Du glaubst doch nicht etwa, daß ich auch beruflich mit ihm zu tun hatte?« Ich dachte eine Weile darüber nach. »Nein«, meinte ich dann. »Das glaube ich nicht.« Ich nahm noch einen Schluck. Der Kaffee war abscheulich. »Wer ist denn dieser Opa?«
»Joe Smith.«
»Sehr einfallsreich, muß schon
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