Kalt, kaltes Herz
räusperte sich wieder. Die Nerven. »Ich glaube, dir kann nichts passieren. Wahrscheinlich wollte er mir nur den Tip geben, mich bedeckt zu halten, weil du für die Stadt arbeitest. Da die Hancock bei den Bürgermeisterwahlen kandidiert, haben sie sicher keine Lust auf peinliche Zwischenfälle.« Er zündete sich eine Zigarette an und legte die Marlboroschachtel wieder auf den Tresen.
»Die Hancock will Bürgermeisterin werden?«
»Du weißt schon, Verbrechensbekämpfung und der ganze Mist. Die hält sich wohl für Isis.« Er drehte um und griff nach einer Ausgabe des
Lynn Evening Item.
»Lies selbst.«
»HANCOCK BEWIRBT SICH FÜRS BÜRGERMEISTERAMT«, lautete die Schlagzeile. Ich las die ersten Zeilen.
Emma Hancock, erfahrene Mitarbeiterin der Polizei von Lynn und erster weiblicher Captain des Bundesstaates, hat angekündigt, sie werde für das Amt von Bürgermeister William McGinnis kandidieren. Hancock äußerte Bedauern darüber, daß ihre Arbeit durch die vom Rathaus angeordneten Mittelkürzungen beeinträchtigt werde. Im Fall ihrer Wahlwerde sie hart gegen Drogenmißbrauch und Gewalt durchgreifen.
Kein Wunder, daß die Hancock den Mord an Sarah so schnell wie möglich aufgeklärt sehen wollte. »Macht und Glaube. Diese Mischung wirkt schon seit Jahrtausenden.« Ich warf die Zeitung auf den Tresen. »Jetzt wissen wir, was sie denkt. Es bleibt nur noch die Frage nach ihrem Unterbewußtsein.«
»Dafür bist du zuständig. Ich schenke nur Getränke aus.« Ich lächelte. »Hast du für ihren Wahlkampf gespendet?«
»Klar doch. Malloy war auch aus diesem Grund hier; er wollte
Emmas Wahlkampfkasse füllen.«
Ich trank mein Bier halb aus und stand auf. »Schreib's mir auf die Rechnung.«
»Wie sagte Bogart noch mal? – ›Ihr Geld ist hier willkommen.‹«
»Hab ich mir fast gedacht.« Ich schob ihm fünf Zwanziger zu. »Aber verpraß es nicht gleich. Ich gehe morgen in die Therapieklinik.«
»Du weißt, daß ich mich immer freue, einen Kunden zu verlieren. Viel Glück.«
Als ich am Lynx Club ankam, war der Parkplatz fast besetzt. Ich holte mein Päckchen aus der Marlboroschachtel, streute eine dicke Linie auf die Klinge meines Jagdmessers und schnupfte sie. Nach dreißig Sekunden breitete sich ein angenehm taubes Gefühl in meiner Nase und Kehle aus. Ich schluckte mit geschlossenen Augen. Ich spürte nichts. Emma Hancocks Bürgermeisterwahlkampf war mir egal. Alle Sorgen waren mit einem mal vergessen. Ich schnupfte noch eine ordentliche Portion und ging hinein.
Der Rhythmus von »Hit Me With Your Best Shot« schlug mir entgegen. Rote und blaue blitzende Lichter blendeten meine Augen. Genießerisch betrachtete ich die üppigen Kurven zweier Blondinen, die nackt auf zwei runden Bühnen zu beiden Seiten des Laufstegs tanzten. Sie hielten sich an Ketten fest, die von der Decke herabhingen. Während die Musik sich steigerte, zogen sie sich mit gespreizten Beinen an den Ketten hoch und ließen sich durch die Luft wirbeln wie Figürchen auf einer Spieluhr. Ich setzte mich unter die Tänzerin, die ein rosafarbenes Halsband aus Lackleder trug, und atmete in tiefen Zügen die muffige Luft des Lynx Club ein.
Ich bestellte einen Black Label ohne Eis und zündete mir eine Marlboro an. Dann griff ich in die Tasche und warf einen Dollar auf die Bühne. Die Tänzerin, die aussah wie etwa zwanzig, ließ sich fallen und ging vor mir in Hockstellung. Sie war hübsch, wirkte mit ihren hohen Wangenknochen und dem vorstehenden Kinn aber ein wenig streng. Ich schaute ihr in die Augen, weil ich mich scheute, ihr sofort in den Schritt zu starren. Als sich unsere Blicke trafen, errötete sie. Dann wanderte ihr Blick zwischen ihre Beine, und ich folgte ihrem Beispiel. Bis auf ein kleines, schmutzigblondes Dreieck war sie rasiert, und als sie mit zwei Fingern ihre Schamlippen spreizte, erkannte ich, daß sie einen gepiercten Goldring trug. Vermutlich als Symbol der Unterwerfung unter irgendeinen Glückspilz von Lastwagenfahrer. Sie nahm meinen Dollarschein, streichelte sich damit und schob ihn dann in ihr Strumpfband. Danach rappelte sie sich auf, drehte sich um, bückte sich und blickte zwischen ihren gespreizten Beinen hindurch. Als ich ihr in die Augen sah, kam ich mir ziemlich dämlich vor, weil ihre auf dem Kopf standen. Sie zwinkerte mir zu und stolzierte auf ihren Stilettoabsätzen zur anderen Seite der Bühne.
Inzwischen war mein Scotch gekommen. Ich nahm erst einen kleinen Schluck und leerte dann das halbe Glas. Ich sah
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