Kalt, kaltes Herz
sagen.«
»Es spielt keine Rolle, ob er lügt. Wahrscheinlich fällt es ihm leichter, mit mir zu reden, wenn ich seinen richtigen Namen nicht weiß.«
»Und wovon redet er?«
»Das darf ich eigentlich nicht weitererzählen.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab.«
»Schwörst du es mir?« Sie sah mich prüfend an. »Müßt ihr Ärzte denn immer noch einen Eid schwören?«
»Aber natürlich.« Ich hob eine Hand. »Ich schwöre beim Eid des Hippokrates. ›Was ich bei der Ausübung meines Berufes erfahre, werde ich für mich behalten und wie ein geheiligtes Geheimnis behandeln.‹«
»Hast du das auswendig gelernt?«
»›Ich werde niemandem absichtlich Schaden zufügen und den menschlichen Körper nicht mißhandeln.‹«
»Darüber sprechen wir später. Aber vielleicht kannst du mir helfen. Es geht um Joe.«
»Klar.«
»Gut. Vor drei Monaten wurde ihm ein Hautkrebsgeschwür an der Schenkelinnenseite in der Nähe der Leiste entfernt. Er sagt, er hat eine ziemlich schlimme Narbe, und ich vermute, daß die Wunde nicht vollständig abgeheilt ist. Kann das so lange dauern?«
An seinem Alter schon. Besonders, wenn es zu einer Infektion gekommen ist.«
»Okay.« Sie zuckte die Achseln. »Jedenfalls sagt er, sie ist nicht ganz zu. Deshalb will er nicht mehr, daß seine Frau ihn nackt sieht oder ihn berührt. Er findet, daß er da untenrum verstümmelt aussieht.«
»Darüber hat er mit dir geredet? Hier?«
»Kommt wahrscheinlich billiger, als wenn er sich an dich wenden würde. Und du streichelst ihm dabei nicht das Bein.«
»Ich dachte, das wäre verboten.«
»Ist es auch. Aber ihm geht es dadurch besser, und er gibt mir Champagner aus – im Gegensatz zu manchen anderen Gästen. Deshalb hat Peggy dem Chef gesagt, er soll sich raushalten.«
Ich warf einen Blick auf ihn. »Jeder Mensch bekommt das, was er braucht.«
»Wirklich? Da bin ich mir nicht so sicher. Manche Leute haben solche Probleme, daß sie das, was sie brauchen, gar nicht mehr annehmen können – selbst wenn es ihnen jemand geben würde.«
Man denkt, man hat eine Stripperin vor sich, und dann entpuppt sie sich als Wunderheilerin. Gott ist auch im Lynx Club präsent.
»Was soll ich ihm antworten?« fragte sie.
»Er sieht sich als Opfer, hält sich für einen halben Mann. Vielleicht ist das sogar der Grund, warum die Wunde nicht richtig heilt. Du mußt ihm helfen, sich als Überlebenden zu betrachten. Er hat den Krebs besiegt und dem Tod ins Auge geblickt. Seine Wunde ist so etwas wie ein Orden. Frage ihn, warum er seiner Ansicht nach noch lebt, während so viele andere Menschen an Hautkrebs sterben. Frag ihn, wie er die Schmerzen ausgehalten hat.«
»Und dann fühlt er sich besser?«
Ich zuckte die Achseln. »Kann sein. Doch eigentlich ist es egal, was du sagst, solange du nur dabei weiter sein Bein streichelst.«
»Gut.« Sie lächelte. »Das habe ich mir fast gedacht.« Sie stand auf. »Ich bin als nächste dran. Ich muß mich fertig machen.«
»Ich warte hier.«
»Warum setzt du dich nicht nach vorne?«
Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Ich setzte mich wieder in die Spannerecke neben zwei junge Typen in gestreiften Hemden und Clubkrawatten, die sich über den Handel mit Porsche- und Mercedesschlitten unterhielten. »Das Problem mit Porschekunden ist«, sagte der eine, »daß sie alle nur protzen wollen. Die Finanzierung ist bei ihnen ein totaler Streß, weil sie sich die Autos eigentlich nicht leisten können. Aber sie brauchen sie für ihr Ego.« Er zog fünf Ein-Dollar-Scheine aus der Tasche und legte sie auf den Tresen. »Der Mercedeskunde dagegen übernimmt sich nicht. Er hat es nicht nötig, sein Image aufzupolieren, sondern will einfach nur ein komfortables Auto.«
»Und was ist mit Leuten, die Range Rover fahren?« mischte ich mich ein.
»Snobs mit Miesen auf der Bank«, antwortete er mit einem Blick zu mir.
»Machen den Gerichtsvollziehern jede Menge Arbeit«, fügte sein Freund hinzu.
»Aha«, sagte ich.
»Fahren Sie einen Rover?« wollte der erste wissen.
»Ja.«
»Tut mir leid«, kicherte er.
»Schon gut.«
»Aber es stimmt trotzdem. Wenn man einen Pick-up will, soll man sich einen kaufen. Einen Ram oder einen Suburban. Warum so tun, als wäre man mitten im Dschungel?«
»Darüber werde ich mal nachdenken.«
Er gab mir seine Karte: JERRY STEIN, GESCHÄFTSFÜHRER, MEL'S AUTOWORLD. »Wir haben viele gebrauchte Pickups auf Lager. Bei uns bekommen sie was für Ihr Geld.«
»Vielen Dank.« Von einem Autohändler
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