Kalt, kaltes Herz
gekommen, als es einmal an der Tür klopfte. Dann herrschte Stille. Kathy hatte ihren Schlüssel mitgenommen; sie konnte es also kaum sein, außer sie hatte – wie schon mehrmals – beim Abfahren den Schlüssel aus dem Autofenster geschleudert. Ich wünschte, daß sie es war, doch als ich hinausspähte, sah ich nicht ihren Volvo in der Einfahrt stehen, sondern einen Pick-up.
Ich ging ins Schlafzimmer, zog meine Hose an und lief die Treppe hinunter. Dank des Scotch fühlte ich mich wie beflügelt. Kurz bevor ich die Tür erreichte, hörte ich es wieder klopfen. »Bin gleich da«, rief ich. Ich spähte durch den Spion, konnte jedoch niemanden entdecken. Die Außenlampe brannte nicht. Daran änderte sich auch nichts, als ich auf den Schalter drückte; die Birne mußte defekt sein. »Wer ist da?« fragte ich.
Keine Antwort.
»Wer ist da?« rief ich.
»Laß mich rein, verdammt noch mal.«
Selbst durch eine zehn Zentimeter dicke Holztür klang Paulson Levitskys Artikulation präzise wie eh und je; jede Silbe bildete eine abgeschlossene Einheit. Ich öffnete ihm.
Levitsky war noch in seiner Arbeitskleidung – gestärktes weißes Oberhemd und Schlips mit Clubabzeichen. Er hielt einen großen braunen Umschlag an die Brust gepreßt. »Wir haben da ein Problem«, verkündete er. Dann steuerte er an mir vorbei auf das Wohnzimmer zu. Ich folgte ihm. Er setzte sich kerzengerade auf die Couch und zog einige Blätter aus dem Kuvert.
»Paulson«, sagte ich, »du bist nicht auf dem neuesten Stand. Hast du schon mit Emma Hancock gesprochen?« Er sah mich an und schnupperte. »Hast du getrunken?«
»Nur ein Glas.«
Er stand auf. »Und bist du noch klar im Kopf? Oder verschwende ich nur meine Zeit?« Bevor ich antworten konnte, hob er beschwichtigend die Hände. »Entschuldige!« Dann nahm er wieder Platz. »Das Ganze macht mir zu schaffen.« Ich setzte mich neben ihn. »Ich muß dir was erklären.«
»Sie haben schon wieder den Falschen festgenommen«, stieß er hervor.
Mir wurde flau. »Wie?«
»Dr. Lucas ist unschuldig.«
»Moment mal«, wandte ich ein, »weißt du, daß er bei Sarah und Monique Brustoperationen durchgeführt und ihnen Silikonkissen eingesetzt hat?«
»Ja. Emma hat mir alles erzählt.«
»Sie hat dir erzählt, was sie weiß. Aber sie weiß nicht, daß er mit beiden ein Verhältnis hatte.«
»Das ist ja abscheulich! Was für ein Monster!« Kopfschüttelnd zog sich Levitsky seinen Schlipsknoten gerade. »Aber er ist kein Mörder – zumindest hat er nicht diese beiden Frauen umgebracht.« Er sah mich durchdringend an. »Wieso hältst du ihn für unschuldig?« fragte ich.
»Weil er unschuldig ist. Der Killer mordet weiter.«
»Der Killer mordet ...«
Er hielt mir die Blätter hin.
Ich nahm sie und betrachtete das erste. Es war ein Fax mit einem Bericht des Polizeireviers in Revere. Fragend blickte ich Levitsky an.
Doch der hielt sich bedeckt. »Lies selbst!« drängte er.
Ich tat, wie er geheißen:
Das einundfünfzigjährige männliche Opfer wurde in seinem Wagen aufgefunden und trug eine Brieftasche mit Papieren bei sich. Name: Michael Wembley. Anschrift: Beacon Street 123, Boston. Bei dem Fahrzeug handelt es sich um einen schwarzen Lexus SC 400mit dem Kennzeichen 887 NFT, Massachusetts. Etwa 18.45 Uhr von Susan Rugeaux (siehe auch beiliegendes Aussageprotokoll) beim Joggen am Ende der ungepflasterten Foster Road entdeckt. Dem Opfer wurden die Augenlider entfernt (abgeschnitten); es war von der Taille abwärts nackt (ohne Hosen und Strümpfe); der Genitalbereich ist rasiert. Penis und Hoden wurden durch mehrere tiefe Einschnitte verstümmelt.
»Herr im Himmel!« stieß ich hervor.
»Joshua Belnick, der Gerichtsmediziner aus Revere, hat mich gleich angerufen und mir die Unterlagen geschickt. Im Gegensatz zu dir hält er mich auf dem laufenden. Er wußte, daß wir schon zwei Tote mit rasiertem Genitalbereich haben.«
»Aber das sind Frauen.«
»Stimmt.«
»Man hat ihnen die Brüste abgeschnitten.«
»Worauf willst du hinaus?«
Das wußte ich selbst nicht genau. Ich las weiter.
Die auf dem Armaturenbrett sichergestellte Armbanduhr (Rolex) war stehengeblieben. Die Krone war herausgezogen; die Uhr zeigt 18:19. Als Beweisstück verwahrt.
»Was ist mit der Uhr?«
»Offensichtlich wollte unser Mörder die Todeszeit festhalten. Sie scheint zu stimmen. Einige Anhaltspunkte – Blutgerinnung, Trocknen der Tränenflüssigkeit und ähnliches – sprechen dafür, daß der Mord neunzehn Minuten nach
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