Kalt kommt der Tod (German Edition)
Auffassungsgabe inzwischen zu schätzen«, sagte Jenna. »Das erspart uns viel Zeit, allerdings wäre es nett von dir, würdest du mir erklären, weshalb beinahe alle Spuren verwischt sind, bis auf die da.«
»Westwind«, sagte Packer.
»Was?«
»Die Berge im Westen bilden eine Barriere, außerdem liegt der Platz ziemlich nah an einer Steilwand. Die Berge halten den Schnee ab, wenn der Wind von der anderen Seite weht. Ein paar Meter weiter hat der Schnee alles zugedeckt, siehst du? Deshalb haben wir vorher nichts Auffälliges gefunden.«
Packer spürte, wie sich ein Knoten in seiner Brust lockerte. Endlich, der erste Hinweis.
47
»Glaubst du«, fragte Jenna, »die Leiche von Sylvia Brustedt wurde auf einem der Skidoos hergebracht?«
Packer schüttelte den Kopf. So war es sicher nicht gewesen.
»Dafür gibt es zu viel Blut. Wäre sie woanders getötet worden, hätte bereits der Gerinnungsprozess eingesetzt. Sie ist hier gestorben, an dieser Stelle. Oder ganz in der Nähe, so viel steht fest.«
»Und was fangen wir mit unserem Wissen an?«
»Diesmal gehen wir auf direktem Weg zum Fundort zurück und beten, dass die Mörder etwas hinterlassen haben, das uns auf ihre Spur führt.«
Er zog Jenna mit einem Blick zurate.
»Es sei denn, du hast eine bessere Idee.«
»Ich mach mir eher Gedanken darüber, wie wir dem Sysselmann erklären wollen, warum wir auf eigene Faust und gegen jede Regel losgefahren sind und mit unseren Schuhen und Skidoos ein heilloses Durcheinander angerichtet haben.«
»Wenn es uns nicht gelingt, das Verschwinden der Frauen aufzuklären, werden ganz andere Leute angesaust kommen, um die Sache in Ordnung zu bringen«, sagte Packer. »Ich frage mich nämlich langsam, wer hier mit wem unter einer Decke steckt.«
Er nahm ihr die Lampe ab und leuchtete ihnen den Weg, mit der anderen Hand zog er Jenna hinter sich her. Er senkte den Kopf und ging mit raschen, entschlossenen Schritten los.
Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, wischte mit der flachen Hand den Schnee beiseite, richtete sich wieder auf und ging weiter. Wie ein Gefangener in einer Zelle fühlte er sich dabei, obwohl die Welt um ihn herum keine Grenzen zu kennen schien. Auch die Tigertour durch die Zelle bescherte den Gefangenen selten Neues, aber genau das war es, was sie jetzt brauchten: den nächsten Baustein für die Rekonstruktion des Verbrechens, das hier geschehen war.
Und Jenna fand ihn.
»Bleib stehen!«, rief sie und zog an Packers Hand. »Ich bin auf irgendetwas draufgetreten, es hat nachgegeben, als würde ich …«
Packer sagte: »Wenn du – hör mir zu! Wenn du anfängst zu fantasieren, bringt uns das in Schwierigkeiten.«
»Es war … anders«, beharrte Jenna. »Ich bin so viel öfter durch Schnee gelaufen als du, deshalb weiß ich, wenn es sich anders anfühlt. Sei nicht so stur. Bleib endlich stehen!«
Da, wo ihr Fuß sich in den Pulverschnee gedrückt hatte, begann Phong, vorsichtig die oberste Schicht abzutragen.
Was er freilegte, war ein unterhalb des Ellenbogens abgetrennter Arm, konserviert und gehärtet von den Temperaturen der Polarregion. Die Hand war zur Faust geschlossen.
»Jetzt«, sagte Jenna, »haben wir wirklich ein Problem. Gott, ist das widerlich!«
Packer dachte, gleich muss sie wieder kotzen.
Doch Jenna konnte den Blick nicht abwenden.
Der Speichenknochen ragte ein gutes Stück aus dem zerfetzten roten Stumpf heraus, und nahe der Handwurzel hatten sich tiefe Bissspuren in das Fleisch gegraben.
Packer wischte den Schnee ab und betrachtete die Wunden genauer.
»Da war«, sagte er, »bestimmt der große Weiße dran.«
Die gefrorenen Finger der Hand verlangten ihm einige Mühe ab, aber schließlich gelang es ihm, sie einen nach dem anderen aufzuspreizen. Er ließ sich Zeit, da er wusste, dass übereiltes Handeln wertvolle Beweise zerstören konnte.
Nachdem er den letzten Finger gelöst hatte, sah er, was sich in der geschlossenen Hand befand – und fragte sich, was das für die Ermittlungen bedeutete.
Ein russischer Orden.
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Über den Orden würde er eine Weile nachdenken müssen. Worüber er nicht nachdenken musste, war die Tatsache, dass diese Entdeckung ihre Absicht, Licht in das Dunkel von Carolin Riesenbergs Verschwinden zu bringen, beschleunigen würde, zumindest wenn sie die richtigen Schlüsse aus ihrem Fund zogen.
»Wer hat das getan?«, fragte Jenna und kämpfte mit aller Macht den aufsteigenden Würgereiz nieder.
Packer, den Arm in der Hand, bemühte sich um eine
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