Kalt kommt der Tod (German Edition)
von der Sitzbank rutschen konnte. Ihr Kopf rollte auf seiner Schulter hin und her.
Hinter der Schneedüne stießen sie auf einen schmalen Pass, der die Düne von einem Steilhang trennte. Packer bremste, zog Jenna zu Boden und kippte das Skidoo um, sodass es ihnen Deckung bot.
Packer lauschte dem Motorengeräusch, doch was er hörte, war lediglich ein puckernder Auspuff, offenbar rechneten ihre Verfolger mit einer Falle und zögerten, ihnen blindlings zu folgen.
Jenna atmete viel zu schnell, ihre Augen standen offen und sahen ihn mit einem Ausdruck gekränkten Erstaunens an, als wollte sie ihn fragen, ob ihr das wirklich gerade passierte.
»Ich kann mich nicht bewegen«, wimmerte sie vor Schmerzen. »Ich versuche es, aber es geht nicht.«
Sie streckte ihren Arm nach ihm aus.
Packer brauchte nicht nachzusehen, er wusste auch so, dass Jenna von einer Kugel getroffen worden war, vermutlich steckte sie irgendwo im Rücken. Er nahm ihr den Gesichtsschutz ab, damit sie leichter Luft bekam.
»Mein Körper fühlt sich nicht mehr an, als würde er mir gehören«, sagte sie. »Was war denn los?«
»Es hat dich erwischt«, sagte er.
Trotz der Kälte bildete sich Schweiß auf Jennas Stirn.
»Werde ich sterben?«
»Nein«, sagte er. »Du wirst nicht sterben.« Nie war ihm eine Lüge leichter über die Lippen gekommen. »Du bist ein tapferes Mädchen. Du wirst es überstehen«, sagte er und blickte aufrichtig in ihre besorgten Augen. »Tapfere Mädchen sind selten.«
»Ich kann mich nicht gut verabschieden«, erwiderte sie, »besonders, wenn es für immer ist«, und ein schmerzverzerrtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Dabei will ich doch das Ende deiner Geschichte hören. Was mit dir passiert ist, als du in Deutschland angekommen bist. Versprich mir, dass du sie mir erzählst, deine Geschichte. Das bist du mir schuldig, versprichst du’s?«
Sie redete stockend, ihre Stimme zitterte vor Erschöpfung.
»Ich bring dich in die Stadt zurück«, sagte Packer, »ins Krankenhaus. Mach dir keine Sorgen, und morgen erzähle ich dir den Rest der Geschichte.«
»Einmal kann man vielleicht Glück haben. Aber zweimal? Das glaube ich nicht.«
Ihre Augenlider begannen zu flackern, als würde sie etwas allzu Helles sehen, das sie blendete, dann fiel ihr Kopf zur Seite, und Packer fuhr mit der handschuhlosen Hand in ihren Schneeanzug und tastete nach der Halsschlagader. Es war das zweite Mal innerhalb von achtundvierzig Stunden, dass er bei jemandem den Puls fühlte. Die Begegnung mit dem Akkordeonspieler schien inzwischen Jahre her zu sein. Der Puls war schwach, aber konstant, er pochte unter seinen Fingerspitzen. Die Frage war nur: Wie lange würde er das noch tun? Wenn sie leben sollte, musste er sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus nach Longyearbyen bringen.
Die Motorengeräusche der Skidoos waren inzwischen verstummt.
Packer nahm das Gewehr und begann, gebückt und in einem Schauer kleiner Eisbrocken schlitternd, den Aufstieg zur Schneedüne.
Er passierte einen tiefen Eisbruch und sprang, wo er besseren Halt hatte, leichtfüßig den Hang hinauf, mit einer fast surrealen Anmut, bis er den Gipfel erreichte.
Einer der Verfolger war vor ihm da, er überquerte gerade den Kamm, eine in seinem dicken blauen Skianzug irgendwie feist aussehende Gestalt. Er fummelte an seinem Gewehr herum und versuchte, es auf Packer zu richten, doch Packer war schneller und trat ihm die Waffe aus den Händen. Die Wucht des Tritts holte den Mann von den Beinen, er verlor das Gleichgewicht und stürzte.
Mit einem Satz war Packer bei ihm und rammte ihm den Kolben seines Gewehrs ins Gesicht. Die Skibrille zersplitterte, darunter schoss Blut hervor. Der Körper fiel und blieb liegen.
Dann verließ Packer das Glück. Er spürte einen dumpfen Schlag im Genick, er verlor das Bewusstsein und driftete in eine tiefschwarze Welt davon.
Dann nichts mehr.
50
»Ich brauche Ihre Hilfe bezüglich einer dringlichen Angelegenheit«, sagte der Sysselmann zu Big Kokina. Er hatte Verstärkung mitgebracht. Ingrid Yitterdal, die Polizeichefin, wippte auf den Absätzen neben Kokinas Tisch vor und zurück, um zu zeigen, was für eine taffe Lady sie war. Das Reden überließ sie dem Sysselmann.
»Was haben Ihre Begleiter sich dabei gedacht, mitten in der Nacht in die Wildnis aufzubrechen? Das war nicht nur äußerst dumm, sondern auch ärgerlich. Ich hoffe, dass Sie meine Meinung als zutreffende Einschätzung der gegenwärtigen Situation akzeptieren. Wenn
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