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Kalt kommt der Tod (German Edition)

Kalt kommt der Tod (German Edition)

Titel: Kalt kommt der Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Sprado
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Ururgroßvater gehörte 1888 zur sechsköpfigen Expedition von Fridtjof Nansen, die zum ersten Mal den Eispanzer von Grönland überquert hat. Die Russen wollen, dass Kristian von hier verschwindet, aber er denkt nicht daran. Vielleicht bringt er uns in seinem Kahn rüber. Oder kann einer von euch einen Kabeljaufänger steuern? Dachte ich mir, ich nämlich auch nicht.«
    Seit Packer auf der Hai long gewesen war, hatte er kein Schiff mehr betreten, auch jetzt legte er keinen Wert darauf. Alles, was auf dem Wasser unterwegs war, bedeutete in seiner Erinnerung Seekrankheit, Erschöpfung und Tod.
    »Muss das sein?«, fragte er. »Mit Booten hab ich’s nicht so.«
    »Muss sein«, sagte der Trapper.
    »Können wir nicht einfach im Ozonloch verschwinden?«
    83
    Kristian Selboskar lebte allein in einem kleinen Haus oberhalb der glatten schwarzen Bucht, in der sich die Lichter der Skyline von Barentsburg spiegelten: ein paar Funzeln, mehr nicht.
    Aus seinem Küchenfenster sah er – wie originell – die Nansen III am Ende des Piers liegen, einen vierzehn Meter langen Fischkutter, Gaffelsegel, Holz und Stahl, drei Mann Besatzung. Stumpfgelbe Aufbauten und Masten, schwarzer Rumpf. Baujahr? Irgendwann vor der ersten Mondlandung.
    Er schaufelte vier Löffel Zucker in seinen Tee und betrachtete ein halb fertiges Modell der Fram , jenes Dreimastschoners, mit dem Fridtjof Nansen die nördlichsten Polarregionen erkundet hatte. Die Baupläne hatte er sich aus einem maritimen Fachgeschäft in Oslo schicken lassen, das Material – Pappe, Balsaholz, Leisten, Spanplatten – kam aus Tromsö.
    In schwarzen Ikea-Regalen standen sechzehn berühmte Schiffe, die er in langen Wintern mit seinen großen Arbeiterhänden zusammengebastelt hatte: die Beagle von Charles Darwin, die Bounty von Captain Bligh, die Endeavour von James Cook. Das größte, die Titanic , war das einzige Schiff, das er nicht zu Ende gebaut hatte. Stattdessen hatte er neben dem unvollständigen Bug, der vor dem Untergang seitlich von einem Eisberg aufgeschlitzt worden war, einen angekratzten Zuckerkegel aufgestellt. Selboskar fand das originell.
    Er trug ein verwaschenes Baumwollhemd und darüber eine zugeknöpfte grüne Strickjacke. Zwischen seinen Zähnen klemmte eine rußige Bruyère-Pfeife, die er seit Tagen nicht angezündet hatte. Der Nasenbügel seiner altmodischen Hornbrille war mit einem schmutzigen Pflaster umklebt.
    Das Schiff, an dem er arbeitete, benötigte die ganze Fläche des Küchentischs. Es thronte auf einer Wachstuchunterlage, daneben, auf einem kleinen Beistelltisch, lagen Pinsel, Scheren, Sägen, ein Vergrößerungsglas, Dosen mit Acrylfarben und Spezialkleber für Holz, Metall und Pappe. Alles tipptopp in Schuss und aufgeräumt. Den Tisch hatte er von der Eckbank weggerückt, damit er von allen Seiten an die Fram herankonnte. Seit einigen Tagen versuchte er die Takelage aufzuziehen, die reinste Fummelarbeit für seine in den Jahren auf See strapazierten schwieligen Hände.
    Im Hafen herrschte Ruhe, seit die Riesenberg Experience I ihre Ladung gelöscht hatte und wieder ausgelaufen war. Die großen Scheinwerfer waren ausgeschaltet worden, lediglich auf dem Kai brannten noch ein paar wenige Lampen.
    84
    Die russischen Arbeiter und Soldaten hatten sich in ihre Häuser und Wohncontainer zurückgezogen, allerdings durchkämmten immer noch einige Zweiertrupps systematisch die Stadt nach Big Kokina – genau! –, denn das Verschwinden von Packer und die Anwesenheit des Trappers in Barentsburg waren noch nicht bemerkt worden.
    Sie hatten es fast geschafft.
    »Da ist es«, sagte Magnus und deutete auf das Haus des Fischers, das unten am Fuß der Anhöhe lag, von wo aus sie auf die Stadt und den Hafen hinunterblickten. Um den Ort selbst hatten sie einen großen Bogen gemacht.
    »Astrein«, sagte Packer. »Hoffentlich hat dein Kumpel was zum Trinken im Kühlschrank, sonst weiß ich nicht, wie ich je wieder warm werde.«
    »Versuch mal an Palmen, Strand und blaues Meer zu denken«, schlug Kokina vor.
    »Sonnencreme«, sagte Magnus. »Und Bikini-Mädchen.«
    »Schirmchen-Cocktails«, Kokina jetzt wieder, »ein ganzer Armvoll.«

85
    »Ihr Wahnsinnigen«, ereiferte sich Kristian Selboskar. Der Modellbauer schüttelte den Kopf und schenkte zum zweiten Mal Wodka in ihre Wassergläser, machte sie halb voll.
    »Ich hab’s nicht gern, wenn man um diese Zeit an mein Fenster klopft, Magnus, wie oft hab ich dir das schon gesagt? Und dann tauchen neben deiner Visage

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