Kalt kommt der Tod (German Edition)
sie lagen vor ihm auf der Tischplatte. Er war groß, athletisch gebaut. Die Nase, lang und spitz, ragte weit über die Oberlippe und verdarb auf bizarre Weise das typische Bild eines stämmigen, allen Gefahren trotzenden Seemanns.
Die Standardfragen nach Name, Alter und Familie, nach seinem Beruf und seiner Stellung bei der Riesenberg-Reederei waren schnell abgehakt. Der Hinweis, dass seine Kooperation in dieser Angelegenheit eine gewisse Straferleichterung mit sich bringen könnte, hatte ihn gesprächig gemacht.
Von Kindesbeinen an, sagte er, sei er einer der ältesten Freunde von Kurt Vollmer. Sie waren zusammen in dieselbe Grundschule gegangen und besuchten später die Seefahrtschule in Flensburg. Neben ihrem Berufswunsch teilten sie auch dessen Herausforderungen: Heimweh und Seekrankheit.
Langsam näherte sich die Vernehmung dem Wesentlichen.
»Kennen Sie Carolin Riesenberg?«, fragte Packer.
»Sie war Kurts Frau«, sagte Hustedt.
»War?«, fragte Ingrid.
»Zwischen ihr und ihm, das läuft seit geraumer Zeit nicht mehr besonders. Vermutlich werden sie sich trennen, mit Scheidung und allem Drum und Dran. Kurt hat in letzter Zeit immer mal wieder Andeutungen in diese Richtung gemacht.«
»Kennen Sie den Grund dafür?«
»Er meinte, er habe vom Anfang ihrer Ehe an das Gefühl gehabt, dass jedes Mal, wenn er mit seiner Frau schlief, noch jemand anders mit im Bett lag. Das hat ihn fertiggemacht. Er versuchte rauszukriegen, was mit ihr los war, allerdings hätte er ebenso gut versuchen können, einen Frosch zum Fliegen zu bringen.«
»Vielleicht wäre der Frosch geflogen?«, fragte Packer.
»Wird es nicht langsam Zeit«, sagte Kapitän Hustedt, »mir zu sagen, was Sie von mir wollen? In ein paar Stunden trifft der Anwalt der Reederei ein, bis dahin sollten Sie sich ein paar gute Anklagepunkte überlegt haben.«
»Wir können warten, bis Sie rechtlichen Beistand haben«, erwiderte Ingrid.
»Nicht nötig, ich kann sowieso nichts ausplaudern, was mich belasten würde, da ich von nichts weiß.«
»Ihr Freund, Kurt Vollmer, hat Sie hängen lassen«, sagte Packer. »Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Er hat Sie und Ihr Schiff benutzt. Wie fühlt man sich als Kapitän, wenn man so was hört? Dass man benutzt wurde?«
Hustedt lehnte sich, den Kaffeebecher zwischen den Händen, lässig zurück.
»Fragen Sie mich was Richtiges, dann verschwenden wir hier nicht unsere Zeit.«
»Wann und wie«, fragte Ingrid, »haben Sie von dem Auftrag erfahren, Material aus Russland nach Spitzbergen zu transportieren?«
»Das erste Mal hörte ich vor ungefähr einem Jahr davon, damals brachten wir Maschinenteile für eine Schrottfabrik von Südkorea nach Yokohama. In Japan kam Kurt an Bord. Er sagte, wir würden nach Wladiwostok fahren und Container und technisches Equipment für Spitzbergen an Bord nehmen. Das sei erst der Anfang, meinte er, es gebe die Anfrage eines russischen Ölkonzerns an die Riesenberg-Reederei, dieselbe Route noch mindestens weitere fünfzig Male zu befahren. Fünfzig Transporte. Mal drei, denn die Russen wollten gleich drei unserer Schwerlastschiffe chartern, insgesamt also hundertfünfzig Touren, der feuchte Traum eines jeden Reeders. Aus unerfindlichen Gründen, von denen Kurt mir nichts erzählte, wahrscheinlich weil er selbst es nicht genau wusste, legte sich der Alte plötzlich quer und lehnte den Großauftrag ab. Kurt hat geschäumt und sich mit seinem Schwiegervater überworfen, wochenlang sprachen sie kein Wort miteinander. Weil es bereits schriftlich fixierte Vereinbarungen für die ersten drei Transporte gab, erfüllten wir die Verträge natürlich, aber dabei blieb es zunächst.«
»Zunächst?«
»Die Chinesen kaufen derzeit ganz groß ein. Vor ungefähr drei Wochen, da rief Kurt mich an. Wir löschten in Shanghai eine komplette italienische Maschinenfabrik für den Bau von Traktoren, die bei Neapel in ihre Einzelteile zerlegt worden war und in Shanghai wieder aufgebaut werden sollte. Er sagte, der Alte habe es sich anders überlegt und werde den Auftrag der Russen nun doch annehmen. Wir sind also rauf nach Wladiwostok und haben die nächste Partie Richtung Barentsburg übernommen. So sollte es weitergehen, bis zum Ende des Jahres. Immer wieder hin und her.«
»Haben Sie sich nie gefragt, was Sie da jedes Mal an Bord nehmen? Die Sache hinterfragt , meine ich?«, fragte Ingrid.
»Maschinenteile für eine Kohlengrube, so stand es in den Frachtpapieren, absolut schlüssig. Große
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