Kalt kommt der Tod (German Edition)
ihr die Stahlseile, mit denen der Helikopter fixiert wurde?«
»Meine Augen sind ganz in Ordnung«, sagte Ingrid.
»Und wo waren deine Augen, als wir das Schiff auseinandergenommen haben?«
»Als wir an Bord gingen«, half ihr Kokina auf die Sprünge, »war da kein Hubschrauber, jedenfalls hab ich keinen gesehen. Ihr vielleicht?«
»Dann ist er womöglich gestartet, bevor die Experience in den Hafen einlief, vermutlich mit Kurs auf eine Stadt auf dem Festland.«
Tromsö schlossen sie aus, da der Flughafen seit nunmehr vierundzwanzig Stunden überwacht wurde. Die Reichweite eines Helikopters dieser Größe war begrenzt, deshalb kamen außer Tromsö nur zwei weitere Städte infrage, die über einen Anschluss an das internationale Flugnetz verfügten: Hammerfest, ein gutes Stück weiter nördlich, oder Kiruna in Schweden. Eine einzige Tankfüllung würde reichen, um eine dieser beiden Städte anzufliegen.
In der nächsten halben Stunde wurden ein paar hektische Telefonate geführt, die ihnen schließlich Klarheit verschafften: In Hammerfest hatte ein Mann namens Kurt Vollmer für einen Flug von Scandinavian Airlines eingecheckt und befand sich derzeit, mit einem Zwischenstopp in Kopenhagen, auf dem Weg nach Bremen.
Die Passagierlisten für beide Flüge wiesen eine merkwürdige Übereinstimmung auf, denn auf dem Platz neben Vollmer saß immer dieselbe Frau:
Carolin Riesenberg.
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»Was sollte ich machen?«
Kapitän Hustedt faltete seine Hände wie zum Gebet. Sein verzweifeltes und andauerndes Schulterzucken beeindruckte niemanden mehr. »Kurt ist doch mein Freund, ich bin ihm was schuldig. Zweimal hat man mich bei anderen Reedereien gefeuert, vollkommen zu Recht übrigens. Ich war jedes Mal sturzbesoffen. In Charleston hab ich mit meinem Baumwollfrachter einen auslaufenden Fischkutter gerammt. Zwei Männer sind ertrunken. Das Seefahrtsgericht hat mich zwar freigesprochen, aber ohne Kurts Hilfe wäre ich nie wieder auf die Beine gekommen.«
»Diesmal läuft es mit Ihrem Kapitänspatent hundertprozentig auf eine Seebestattung hinaus«, sagte Kommissar Lucas Langlo und ließ Hustedt von zwei Polizisten abführen. Von jetzt an gehörte er ihm und seinen Kollegen und dem Staatsanwalt.
Eine Stunde später wurde in einer Kaserne südlich von Tromsö eine Einheit der norwegischen Armee in Marsch gesetzt und nach Longyearbyen ausgeflogen. In wenigen Stunden sollten die Soldaten in Barentsburg eintreffen und die Invasoren aus Russland festsetzen, bis weitere Befehle aus Oslo eintrafen. Angesichts der Übermacht der norwegischen Streitkräfte wurde nicht mit Widerstand gerechnet.
Ingrid Yitterdal jagte mit Blaulicht und Sirene durch die abendliche Stadt, während zur gleichen Zeit in Oslo der norwegische Verteidigungsminister den russischen Botschafter einbestellte. Sie überfuhr vier rote Ampeln und beinahe zwei Fußgänger, überholte mit Lichthupe zwei hintereinanderfahrende Lastwagen auf einer zweispurigen Straße und hupte Dutzende Fahrzeuge aus dem Weg, damit Packer und Kokina die letzte Maschine nach Oslo erreichten.
Der russische Botschafter stritt jede Beteiligung des Kremls an den Vorkommnissen in Barentsburg vehement ab und wälzte alle Schuld auf Wladimir Choma und sein international operierendes Konglomerat Gazglobe .
In der Nacht trafen die Regierungen von Norwegen und Russland in einer eilends einberufenen Telefonkonferenz mit dem Segen der Bündnispartner, die vorab von Oslo über die Ereignisse informiert worden waren, eine Verabredung, wonach nichts von der Invasion an die Öffentlichkeit dringen sollte, wenngleich hinter den Kulissen die Messer gewetzt wurden. Moskau musste sich auf ein paar harsche Fragen einstellen, die das strapazierte Verhältnis zwischen den Weltmächten weiter belasten und die nächsten Monate beschäftigen würde. Inwieweit sich die tatsächlichen Vorkommnisse verheimlichen ließen, das musste sich erst noch zeigen.
Packer und Kokina waren vor ihrer Abreise von einem Vertreter der norwegischen Regierung freundlich, aber bestimmt aufgefordert worden, ebenfalls Stillschweigen über das zu bewahren, was sich auf Spitzbergen ereignet hatte.
»Wir sind gleich da«, sagte Ingrid. Sie fuhr auf die Auffahrt zum Terminal und nahm einem Mercedes die Vorfahrt.
»Die Bordkarten bekommt ihr am Counter von Scandinavian Airlines, ihr müsst nur euren Pass vorzeigen.«
Vor der Abflughalle scherte sie zwischen zwei Taxis ein, aus denen Leute ausstiegen.
»Ihr habt noch genau«, sie sah
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