Kalt kommt der Tod (German Edition)
denen hängt hundertprozentig niemand mit in der Sache drin.«
»Falls doch, hättest du das Leben der Geisel gefährdet«, entgegnete Packer. »Also beruhige dich.«
Auf dem Flughafen in Tromsö erwartete sie ein Polizeiwagen an der Gangway.
»Ist bloß ein Freund«, erklärte Ingrid, als sie Packers überraschten Blick bemerkte. »Nichts Offizielles. Ich hab ihm gesagt, er soll uns abholen. Irgendwie müssen wir ja zum Hafen kommen. Du kannst auch ein Taxi nehmen, wenn dir das lieber ist.«
Sie stieg zuerst in den Wagen, wechselte ein paar Worte mit dem Beamten und wandte sich dann an Packer.
»Also?«
Der Polizist hieß Lucas Langlo, ein dürrer Bursche mit krummen Zähnen und einem lippenlosen Mund. Er trug eine über die Ohren gezogene Strickmütze mit bunten Streifen und eine unförmig aufgeblähte Jacke. Er streckte Packer die nikotingelben Finger seiner Hand durch das geöffnete Seitenfenster hin.
»Ich spiele nur den Chauffeur, mehr nicht, alles klar?«
Er schaute an seiner grünen Jacke mit dem Mammut-Emblem hinunter, die ihm bis über die Hüfte reichte.
»Normalerweise sieht meine Uniform anders aus.«
Packer ergriff die ihm dargebotene beinahe zierliche Hand und spürte einen beherzten Druck.
»Bis vor einer Stunde war ich Hauptkommissar bei der Tromsöer Kriminalpolizei, Abteilung Raub und Diebstahl. Aushilfsweise Sitte, aber nur sonnabends, dann ist hier besonders viel los. Aber jetzt hab ich Feierabend.«
Kokina sagte: »Ich bin der Catcher.«
»Kein Problem. Ingrid hat mir von dir erzählt. Hauptsache, Arbeit, oder?«
»Lange her, dass ich gearbeitet habe.«
Packer schwang sich auf den Rücksitz, Kokina rutschte neben ihn.
»Wie meint der das?«, flüsterte Kokina. »Von wegen Arbeit?«
Im Eulenlicht der Polarnacht ragten die Häuser vor ihnen auf wie Eiszapfen. Sie bogen im Kreisverkehr beim Flughafen südlich auf die 862 und fuhren am Wasser entlang in Richtung Innenstadt.
Das Krankenhaus würde eine Entscheidung bedeuten. Packer wusste, dass er sich entscheiden musste. Festhalten an der Vergangenheit. Oder loslassen für die Zukunft.
92
Packer überlegte, ob er Jennas Hand nehmen sollte, die blass auf der weißen Bettdecke lag.
Sie waren allein, Kokina, Ingrid und Lucas Langlo gönnten sich in der Cafeteria Minifrikadellen mit fettigen Pommes frites und Beerengelee.
Jenna hatte die Augen geschlossen. Sie atmete laut. Ihre Nasenlöcher waren verstopft. Es hörte sich schwerfällig an und trotzdem süß.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Packer.
»Ich könnte Superwoman spielen.«
Ihr Gesicht war so kalkig wie die vier Wände um sie herum. An ihrem linken Mundwinkel lief ein Speichelfaden herunter, Packer nahm ein Tuch vom Nachttisch und tupfte ihn vorsichtig weg.
»Hab ich gesabbert?«, fragte Jenna. »Oh Gott! Du findest es bestimmt ziemlich sexy, mich so zu sehen, gib es zu.«
»Besser als Paris Hilton nackt auf Sardinien am Strand vom Millionärs-Club.«
»Das will ich auch hoffen«, sagte sie, und er glaubte in ihrem Gesicht die Andeutung eines Lächelns zu sehen.
»Ich wünschte, wir hätten ein bisschen mehr Zeit füreinander gehabt«, sagte sie.
»Die werden wir haben. Ich warte«, sagte Phong, »so lange auf dich, bis du aufstehst. In den Filmen wickeln sich die Frauen immer ein Laken um, wenn sie aufstehen. Um den nackten Körper. Das gefällt mir.«
»Du bist zu weit weg.«
»Ich könnte versuchen, dir näher zu kommen.«
»Das ist so klug von dir.«
»Ist nicht mein Ding, mich mit Zweifeln aufzuhalten. Ich folge meinem Bauchgefühl.«
»Besser, du überanstrengst dich nicht.«
»Ich könnte versuchen, ruhiger zu werden.«
»Niemals. Du legst es immer auf den großen Knall an.«
»Das tu ich oft, ja«, sagte Packer.
»Ein bisschen Wahrheit ist schön.«
»Aber irgendwann kann es eng werden.«
Jenna öffnete die Augen.
»Wirst du jemals über Carolin hinwegkommen?«, fragte sie und drückte seine Hand. Packer hielt still. Ihre Hand war ganz warm.
»Du wirst die Erste sein, die es erfährt«, antwortete er.
»Gut.«
»Wir haben uns noch viel zu erzählen.«
»Nicht nur das«, sagte Jenna. Ihr Kopf sank erschöpft zurück aufs Kissen.
»Und jetzt geh und hol Carolin nach Haus!«, sagte sie. »Tu es für uns.«
93
Ungeachtet seiner Müdigkeit wusste Packer, dass er spielend zwei weitere Nächte wach bleiben konnte, sollten das die Ereignisse erfordern. Ein Mensch war durchaus in der Lage, vier Tage und drei Nächte hintereinander ohne Schlaf
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