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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sah, verfiel man sofort dem Wahnsinn.
    Mit dreizehn und vierzehn hatte er mit Begeisterung die makabren Erzählungen von H. P. Lovecraft verschlungen. Nun wurde er das fatale Gefühl nicht los, dass die Texte Lovecrafts eher auf Wahrheit basierten als auf Phantasie.
    Schließlich gab Dylan es auf, den Übergang zwischen Bad und Tunnel zu erforschen. Stattdessen kniff er die Augen zusammen, konzentrierte sich auf eine bestimmte Stelle der rotierenden Wände und versuchte, deren Material und Dichte zu bestimmen. Bei näherer Betrachtung schien der Korridor aus leuchtendem Dunst zu bestehen, wenn Dylan nicht sogar in eine Röhre aus reiner Energie spähte. So ähnlich musste es aussehen, wenn man vom Himmel in den Trichter eines Tornados blickte.
    Vorsichtig legte er die rechte Hand an die Wand neben dem geheimnisvollen Tor. Der getünchte Gips fühlte sich etwas warm und erfreulich normal an.
    Dylan ließ die Hand über die Badezimmerwand nach links auf die Öffnung zugleiten. Vielleicht konnte er den Übergang von Motel zu Tunnel ja spüren und dadurch herausfinden, worin die Verbindung bestand. Als seine Hand vom Putz in das offene Tor glitt, entdeckte er jedoch keinerlei Strukturen, sondern nur Kälte – abgesehen davon, dass das rote Licht noch lebendiger als bisher über seine gehobene Handfläche krabbelte.
    » Nein, lass das! Hör auf! «, rief Jilly.
    » Was soll ich lassen? «
    » Geh nicht da rein. «
    » Ich gehe da nicht rein. «
    » Du siehst aber aus, als wolltest du da reingehen. «
    » Und wieso sollte ich das tun? «
    » Um Shep zu holen. «
    » Ich gehe da bestimmt nicht rein. «
    » Du würdest doch von einer Klippe springen, um Shep zu retten! «
    » Ich würde nicht von einer Klippe springen «, sagte Dylan ungehalten.
    » Doch, das würdest du tun «, sagte Jilly. » Du würdest hoffen, ihn mitten im Fall aufzufangen, um dann mit ihm weich auf einem Heuhaufen zu landen. Bestimmt würdest du springen. «
    Dylan wollte nur die Realität des Tunnels überprüfen, er wollte sich vergewissern, dass dieser tatsächlich eine konkrete Dimension hatte, dass er nicht nur ein Fenster, sondern ein Tor war, ein echter Eingang zu einem jenseitigen Bereich und nicht bloß ein Blick hinein. Dann wollte er zurücktreten, die Lage überdenken und versuchen, eine logische Vorgehensweise zu finden, mit der man dieser kolossal unlogischen Erscheinung beikommen konnte.
    Als er die rechte Hand fester an die Fläche drückte, wo eigentlich die Wand sein sollte, spürte er, dass sich unter dem Bild des Tunnels kein Putz befand. Er traf auf keinerlei Widerstand, sondern griff hinaus aus dem Badezimmer in jenen gefährlichen anderen Bereich, wo die Luft eisig war und wo ihm das unheilvolle Licht über die Finger kroch. Nun fühlte es sich nicht mehr an wie hunderte von Ameisen, sondern wie tausende von gepanzerten Käfern, die ihm das Fleisch von den Knochen nagen wollten.
    Hätte er sich auf seinen Instinkt verlassen, dann hätte er die Hand sofort zurückgezogen, aber er glaubte, diese unglaubliche Situation genauer erforschen zu müssen. Deshalb schob er die ganze Hand durch das Tor, und obwohl er wegen der bitteren Kälte zusammenzuckte und ihn der Ekel vor dem scheußlich krabbelnden Gefühl fast überwältigte, streckte er den Arm immer weiter hin, bis zum Ellbogen. Und dann geschah natürlich das, wovor er von seinem Instinkt gewarnt worden wäre, hätte er auf ihn gehört – der Tunnel sog ihn ein.

24
    Dylan ging durch den Tunnel, er lief nicht, er taumelte nicht, und er durchflog ihn nicht. Ohne jedes Gefühl eines Übergangs gelangte er innerhalb eines Augenblicks vom Badezimmer des Motels an Shepherds Seite. Er spürte, wie seine Schuhe von den PVC-Fliesen abglitten und gleichzeitig weichen Boden berührten, und als er nach unten schaute, sah er, dass er in einer kniehohen Wiese stand.
    Bei seiner Ankunft stob ein Schwarm winziger Mücken aus dem goldbraunen Gras auf, das so trocken wie nach einem langen, heißen Sommer aussah. Heuschrecken hüpften in Sicherheit.
    Bei der Landung stieß Dylan den Namen seines Bruders aus – » Shep! « –, aber der reagierte nicht auf ihn.
    Noch während Dylan registrierte, dass er an einem warmen Tag unter blauem Himmel und in sanftem Wind auf einem Hügel stand, wandte er sich von der Aussicht, die Shepherd so faszinierte, ab und blickte dahin zurück, wo er den Tunnel erwartet hätte. Stattdessen sah er Jillian Jackson im Badezimmer des Motels stehen. Sie befand sich

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