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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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unheilvolle, hungrig rote Glühen in den Augen einer Schlange, die im Dunkeln ihrer Beute auflauert. All diese Eigenschaften hatte diese Farbe, aber nichts davon beschrieb sie hinreichend. Sie spottete jeder Beschreibung und hätte auch Dylans Talent verspottet, hätte er versucht, sie auf einer Leinwand wiederzugeben.
    Das Badezimmer besaß keine Fenster. Es konnte sich also nicht einfach um die Morgensonne handeln, die durch einen farbigen Vorhang hereindrang. Auch die Neonlampe über dem Waschbecken konnte keinen derart unheimlichen Schein hervorbringen.
    Seltsam, wie bloßes Licht bewirken konnte, dass sich Dylans Eingeweide zusammenzogen, dass ihm die Brust eng wurde und das Herz raste. Es war ein äußerst merkwürdiges Leuchten, das nirgendwo in der Natur vorkam und auch nicht aussah, wie von Menschenhand geschaffen, und deshalb zerrte es an jeder abergläubischen Faser im Gewebe seiner Seele.
    Während er sich langsam dem Badezimmer näherte, stellte er fest, dass er das Leuchten spüren konnte, wenn es ihn berührte, und das nicht nur, wie man die Hitze der Sommersonne spürte, wenn man aus dem Schatten eines Baumes trat. Dieses Licht schien auf Dylans Haut zu krabbeln oder wie hunderte von Ameisen zu wuseln, zuerst auf seinem Gesicht, als er hineintrat, und dann noch deutlicher auf seiner rechten Hand, die er an die Tür legte.
    Jilly neben ihm war weniger direkt beleuchtet als er selbst, doch auch auf ihrem Gesicht lag ein schwacher roter Schimmer. Er wandte kurz den Kopf und sah, dass auch sie die außergewöhnliche Intensität des Lichts wahrnahm. Sie fuhr zusammen, zog eine angewiderte Grimasse und wischte sich mit der Hand übers Gesicht, als wäre sie in die klebrigen Speichen und Spiralen eines Spinnennetzes gelaufen.
    Abgesehen von gewissen biologischen und botanischen Kenntnissen, die Dylan dazu dienten, die Genauigkeit seiner Naturdarstellungen zu verbessern, interessierte er sich nicht besonders für naturwissenschaftliche Themen. Als Hobbyphysiker hätte er sich schon gar nicht bezeichnet, aber immerhin wusste er, dass tödliche Arten von Strahlung, zum Beispiel die einer Atombombe, nie den Tastsinn anregten, genauso wenig, wie die weniger tödlichen Röntgenstrahlen in der Zahnarztpraxis nicht das leiseste Kribbeln verursachten, wenn sie durch den Kiefer schlüpften. Selbst die Überlebenden von Hiroshima, die später an der Strahlenkrankheit zugrunde gegangen waren, hatten nie gespürt, wie die vielen Milliarden Elementarteilchen ihren Körper durchdrungen hatten.
    Obwohl Dylan also bezweifelte, dass die prickelnde Wirkung des Lichts eine Gefahr darstellte, zögerte er. Womöglich hätte er die Tür zugezogen und sich abgewandt, ohne seine Neugier zu befriedigen, wäre nicht Shep auf der anderen Seite gewesen und hätte vielleicht Hilfe gebraucht.
    Als er den Namen seines Bruders rief, bekam er keine Antwort, was ihn aber nicht überraschte. Shep war zwar gesprächiger als ein durchschnittlicher Stein, aber oft nicht ansprechbarer als Granit. Dylan rief noch einmal, und nach erneutem Schweigen drückte er die Tür auf.
    Er war darauf vorbereitet, die Duschkabine zu sehen und die Toilette. Das Waschbecken, den Spiegel, den Handtuchhalter.
    Das, worauf Dylan nicht vorbereitet gewesen war, veranlasste seine Nebenniere, noch mehr Adrenalin in die Blutbahn zu spritzen, und bescherte ihm ein nicht sehr angenehmes Zwicken in den Eingeweiden. In der Wand neben dem Waschbecken sah er nämlich eine Tür, wo vorher keine Tür gewesen war. Die Quelle des seltsamen roten Lichts befand sich jenseits dieses Zugangs.
    Zögernd trat er über die Schwelle ins Badezimmer.
    Tür war nicht ganz der richtige Ausdruck für die mysteriöse Öffnung. Sie war nicht rechteckig, sondern rund wie die Luke in einem Schott zwischen zwei Abteilungen eines Unterseeboots. Luke war allerdings auch nicht das richtige Wort, weil das Loch in der Wand nicht von einem Rahmen umgeben war.
    Die Öffnung, die einen Durchmesser von knapp zwei Metern hatte, schien keine Tiefe zu besitzen, so als wäre sie auf die Wand gemalt. Kein Türsturz, keine Pfosten, keine Schwelle. Und doch sah der Anblick dahinter bemerkenswert dreidimensional aus: ein leuchtender roter Tunnel, der an seinem anderen Ende zu einer Scheibe aus blauem Licht zusammenschrumpfte.
    Dylan hatte Meisterwerke der Trompe-l ’ œil-Malerei gesehen, deren Schöpfer mit nicht mehr als Farbe und ihre m T alent eine Illusion von Raum und Tiefe zuwege gebracht hatten, die das

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