Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
Vom Netzwerk:
hatte.
    Die Männer, die dem Auktionator halfen, die kleineren Gegenstände aufs Podium und wieder herunter zu hieven, waren Paul Helm, Vic Irsik und Alfred Stoecklein, allesamt alte, treue Weggefährten des verstorbenen Herbert W. Clutter. Dies war ihre letzte Amtshandlung, denn heute war ihr letzter Tag auf der River Valley Farm; der Besitz war an einen Rancher aus Oklahoma verpachtet worden, und in Zukunft würden hier Fremde leben und arbeiten. Als die Auktion allmählich ihrem Ende zuging und Mr. Clutters Hab und Gut dahinschmolz, Stück für Stück verschwand, musste Paul Helm an das Begräbnis der ermordeten Familie denken und sagte: »Es ist, als würden sie ein zweites Mal beerdigt.«
    Als Letztes kamen die Tiere aus dem Rinderpferch unter den Hammer, hauptsächlich Pferde, darunter auch Nancys Pferd, die dicke, fette Babe, die ihre besten Jahre längst hinter sich hatte. Es war später Nachmittag, die Schule war aus, und als das Pferd zur Versteigerung anstand, waren unter den Zuschauern auch Susan Kidwell und einige andere Klassenkameraden Nancys. Sue, die bereits ein verwaistes Haustier Nancys, eine Katze, bei sich aufgenommen hatte, hätte gern auch Babe ein neues Zuhause gegeben, weil sie das alte Pferd liebte und wusste, wie sehr Nancy es geliebt hatte. An heißen Sommerabenden waren die beiden Mädchen auf Babes breitem Rücken oft quer durch die Weizenfelder getrabt, zum Fluss hinunter und ins Wasser, wo die Stute gegen den Strom watete, bis, wie Susan einmal gesagt hatte, »wir alle drei so nass waren wie die Fische«. Aber Sue hatte für ein Pferd keinen Platz.
    »Ich höre fünfzig … fünfundsechzig … siebzig …« Die Gebote kamen nur schleppend, niemand schien Babe so recht zu wollen, und der Mann, der sie schließlich bekam, ein Mennonitenfarmer, der sie eventuell zum Pflügen einsetzen wollte, bezahlte fünfundsiebzig Dollar. Als er Babe aus dem Pferch führte, lief Sue Kidwell hinterher, hob die Hand, als wollte sie Babe zum Abschied winken – und schlug sie sich stattdessen vor den Mund.
     
    Das Garden City Telegram brachte am Vorabend des Prozesses folgenden Leitartikel: »Manche mögen meinen, während dieses sensationellen Mordprozesses seien die Augen der gesamten Nation auf Garden City gerichtet.
    Doch weit gefehlt. Keine hundert Meilen westlich von hier, in Colorado, ist dieser Fall fast gänzlich unbekannt – dort erinnert man sich nur, dass mehrere Mitglieder einer prominenten Familie einem Mord zum Opfer fielen. Das spricht Bände über die Kriminalität in unserem Land. Seit letzten Herbst vier Mitglieder der Familie Clutter getötet wurden, ist es in verschiedenen Teilen des Landes zu ähnlichen Mehrfachmorden gekommen. Allein in den vergangenen Tagen haben mindestens drei Massenmorde Schlagzeilen gemacht. Dieses Verbrechen und dieser Prozess sind folglich nur einer von vielen Fällen, die bereits vergessen sind, kaum dass man die Zeitung aus der Hand gelegt hat.«
    Obwohl die Augen der Nation also keineswegs auf sie gerichtet waren, trugen die Hauptakteure der Verhandlung, vom Gerichtsstenografen bis zum Richter, am Morgen des ersten Sitzungstages ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zur Schau. Alle vier Anwälte glänzten in neuen Anzügen; die neuen Schuhe des auffallend großfüßigen Staatsanwalts knarrten und quietschten bei jedem Schritt. Auch Hickock sah aus wie aus dem Ei gepellt in den Kleidern, die seine Eltern ihm gebracht hatten: eine adrette Hose aus blauem Serge, ein weißes Hemd und eine schmale, dunkelblaue Krawatte. Nur Perry Smith, der weder Krawatte noch Jackett besaß, wirkte modisch etwas deplatziert. In seinem (von Mr. Meier geborgten) offenen Hemd und aufgerollten Bluejeans sah er einsam und verlassen aus, ganz und gar fehl am Platz, wie eine Seemöwe in einem Weizenfeld.
    Der Sitzungssaal, ein schlichter, schmuckloser Raum im zweiten Stock des Landgerichts von Finney County, hat weiß gekalkte Wände und eine Einrichtung aus dunkel gebeiztem Holz. Auf den Zuschauerbänken finden rund einhundertsechzig Personen Platz. Am Morgen des 22.März, einem Dienstag, waren die Bänke ausschließlich mit jenen männlichen Bewohnern des Bezirks besetzt, die man als mögliche Geschworene einberufen hatte und aus deren Reihen die spätere Jury bestimmt werden sollte. Die meisten der geladenen Herren waren nicht allzu erpicht auf dieses Amt (einer von ihnen meinte zu seinem Nebenmann: »Ich komme sowieso nicht in Frage. Dazu höre ich viel zu schlecht.« Worauf sein

Weitere Kostenlose Bücher