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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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standen die Vertreter der Verteidigung erneut vor Richter Tate, diesmal um einen Antrag auf Verschiebung des Prozesses zu stellen, der in acht Tagen beginnen sollte. Und das gleich aus zweierlei Gründen: Erstens sei »einer ihrer wichtigsten Zeugen«, Hickocks Vater, zu schwer erkrankt, um vor Gericht zu erscheinen. Der zweite Punkt lag etwas diffiziler. Denn seit einer Woche prangte in den Schaufenstern der hiesigen Geschäfte, in Banken, Restaurants und am Bahnhof ein fett gedruckter Aushang:
    VERSTEIGERUNG DES NACHLASSES VON H.W. CLUTTER *21. MÄRZ 1960*
    RIVER VALLEY FARM.
     
    »Ich bin mir durchaus darüber im Klaren«, wandte sich Harrison Smith an das Gericht, »dass es nahezu unmöglich ist, Befangenheit zweifelsfrei nachzuweisen. Aber fragliche Auktion, bei der die Hinterlassenschaft des Opfers versteigert wird, findet heute in einer Woche statt – mit anderen Worten, genau einen Tag vor Prozessbeginn. Ob den Angeklagten daraus Nachteile entstehen, vermag ich, nicht zu sagen. Aber diese Schilder, verbunden mit Werbung in Rundfunk und Presse, werden ihre Wirkung kaum verfehlen, besonders bei den Bürgern dieser Stadt, von denen immerhin einhundertfünfzig als mögliche Geschworene bestellt wurden.«
    Richter Tate zeigte sich unbeeindruckt. Er wies den Antrag kommentarlos ab.
     
    Anfang des Jahres hatte Mr. Clutters japanischer Nachbar, Mr. Hideo Ashida, sein landwirtschaftliches Gerät versteigert und war nach Nebraska gezogen. Die Ashida-Auktion, die allgemein als Erfolg gewertet wurde, hatte knapp hundert Interessenten angezogen. Zur Versteigerung des Clutter-Nachlasses kamen dagegen etwas mehr als fünftausend Besucher. Die Holcomber hatten zwar mit ungewöhnlich großem Zulauf gerechnet – der Damenzirkel der Gemeindekirche hatte eine der Clutter-Scheunen in ein mit zweihundert selbstgebackenen Kuchen, zweieinhalb Zentnern Hackfleisch und einem halben Zentner Schinkenaufschnitt bestücktes Selbstbedienungsrestaurant verwandelt –, aber niemand war darauf gefasst, dass sich die Veranstaltung als die größte Auktion in der Geschichte von West-Kansas erweisen sollte. Autos aus halb Kansas und aus Oklahoma, Colorado, Texas und Nebraska hatten sich nach Holcomb aufgemacht. Stoßstange an Stoßstange kamen sie die kleine Straße zur River Valley Farm herunter.
    Zum ersten Mal seit Entdeckung der Morde war der Öffentlichkeit der Zutritt zur Clutter-Farm gestattet, ein Umstand, der vielleicht ein Drittel der riesigen Menschenmenge angezogen haben mochte – Schaulustige, die aus Neugier hergekommen waren. Das gute Wetter tat ein Übriges, denn Mitte März ist der hohe Schnee geschmolzen, und die durchgetaute Erde darunter kommt Hektar um Hektar als knöcheltiefer Schlamm zum Vorschein; bis der Boden wieder fest ist, können die Farmer wenig tun. »Das Land ist nass und matschig«, sagte Mrs. Bill Ramsey, eine Farmersfrau. »Arbeiten ist da nicht drin.
    Also sind wir hier rausgefahren, zur Auktion.« Eigentlich war es ein schöner Tag. Frühling. Zwar war der Boden furchtbar schlammig, doch die Sonne, die ihr Gesicht so lange hinter Schnee und Wolken verborgen hatte, wirkte wie neu geboren, und die Bäume – die Birnund Apfelbäume in Mr. Clutters Obstgarten, die Ulmen links und rechts der Auffahrt – trugen einen zarten Schleier aus jungfräulichem Grün. Auch der feine Rasen rings um das Clutter-Haus war frisch ergrünt, und Unbefugte, in der Regel Frauen, die sich das leerstehende Haus aus der Nähe anschauen wollten, schlichen durchs Gras und spähten durch die Fenster, in der bangvollen Erwartung, im Halbdunkel hinter den geblümten Vorhängen schaurige Geistergestalten ausmachen zu können.
    Der Auktionator pries mit lauter Stimme seine Waren an: Traktoren, Lastwagen, Schubkarren, Nagelkisten, Vorschlaghämmer und ungenutztes Bauholz, Milcheimer, Brandeisen, Pferde, Hufeisen – alles, was man auf einer Farm so braucht, von Seilen und Geschirren bis zu Schafbad und Waschzubern aus Zink. Die Aussicht, diese Gegenstände besonders günstig erwerben zu können, hatte die meisten Besucher angelockt. Zögernd gingen die Hände der Bieter in die Höhe – raue Arbeiterhände, die sich von schwer verdientem Geld nur ungern trennten; trotzdem wurde alles verkauft, selbst ein rostiges Schlüsselbund fand einen Abnehmer, und ein jugendlicher Cowboy in blassgelben Stiefeln kaufte Kenyon Clutters »Kojotenkiste«, das klapprige Vehikel, mit dem der ermordete Junge in mondhellen Nächten Kojoten gejagt

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