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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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hängen immer noch an ihrer alten Stelle.
    Über einen einfachen Gegenstand greift die Realität auf die Kunst über, und das ist vielleicht das Beunruhigendste an diesem Film: Realität und Kunst sind so miteinander verwoben, dass eine klare Demarkationslinie nicht mehr auszumachen ist.
    Fast die ganze Mordsequenz wird bei totaler Dunkelheit gefilmt, einzige Lichtquelle sind die Taschenlampen.
    Niemand hat so etwas je versucht, denn ohne zusätzliche Scheinwerfer ist der Schauplatz einfach zu dunkel. Hier aber haben die Filmtechniker die Taschenlampen mit speziellen Batterien und Glühlampen präpariert, sodass sie kräftige Scheinwerferstrahlen abgeben, die sich höchst effektiv durch das dunkle Haus bewegen.
    Brooks’ Detailversessenheit treibt zuweilen seltsame Blüten. Heute fiel ihm auf, dass sich einige Leute in der Drehpause eine Zigarette angesteckten. Plötzlich klatschte er in die Hände und rief: ›Okay, alle Mann die Zigarette aus! Bei den Clutters wurde grundsätzlich nicht geraucht, also tut ihr das bitte auch nicht.‹«
    Aber gequält von einer Grippe und den Gespenstern der Vergangenheit, hielt ich es für das Beste, das Set zu verlassen, damit Brooks in Ruhe weiterdrehen konnte. Ich glaube, kein Regisseur hat es gern, wenn er ständig den Autor im Nacken hat. Obwohl unser Verhältnis eigentlich gut ist, entging mir nicht, dass meine Anwesenheit alle nervös machte, Brooks eingeschlossen. Er wird nicht traurig gewesen sein, als ich nicht mehr da war.
    In New York hingegen fragten mich erstaunlich wenige nach dem Fortgang der Verfilmung. Die meisten interessierte viel mehr, wie die Bevölkerung auf die Dreharbeiten in ihrer Stadt reagierte: Wie war denn die Stimmung, feindselig oder eher kooperativ? Die Frage lässt sich nur beantworten, wenn man weiß, wie meine eigenen Erfahrungen während der jahrelangen Recherche in Finney County ausgesehen haben.
    Als ich 1959 in dieser gottverlassenen Gegend eintraf, kannte ich dort niemanden, und niemand außer der Bibliothekarin und einigen Lehrerinnen kannte meinen Namen. Komischerweise war der Erste, den ich in der Stadt interviewte, zugleich derjenige, der sich später als mein einziger Widersacher erweisen würde, genauer gesagt der Einzige, der sowohl offen als auch hintenherum gegen mich agierte. (Das klingt zwar wie ein Widerspruch, aber genau so war es.) Dieser Mann war der Herausgeber des Telegram, der Tageszeitung von Garden City, und infolgedessen in einer Position, Stimmung gegen mich und meine Arbeit zu machen. Der Autorenname über den Artikeln lautete Bill Brown, und dieser Name entsprach ganz dem Zuschnitt dieses Herrn: ein dünner, zerknitterter Mann mit schlammbraunen Augen und dem Gilb im Gesicht. Natürlich verstand ich seine Missgunst nur zu gut, ich konnte sie ihm zunächst nicht einmal verübeln. Da kam »dieser Schriftsteller aus dem feinen New York«, wie er mich oft umschrieb, wilderte auf seinem Terrain, weil er unbedingt ein Buch schreiben musste über eine »unappetitliche Sache«, die man am besten für immer begraben hätte. Der Tenor war stets derselbe: »Wir wollen diese Tragödie vergessen, aber dieser Schriftsteller aus New York hindert uns absichtlich daran.« Deshalb war es auch nicht weiter überraschend, als Brown eine regelrechte Kampagne gegen die Dreharbeiten in Garden City und Holcomb startete. Nun hieß es, »diese Leute aus Hollywood« würden »unerwünschte Elemente« anlocken, die noch die ganze Gegend kaputtmachten. Aber so sehr er auch gegen die Anwesenheit des Filmteams wetterte, es nützte alles nichts, aus dem einfachen Grund, weil die meisten Leute, die ich in Kansas traf, durchaus vernünftig und hilfsbereit waren.
    Ich selbst hätte ohne ihre fortgesetzte Unterstützung nie arbeiten können, und einige davon wurden sogar Freunde fürs Leben.
    Das alles war im März vergangenen Jahres. Im September reiste ich nach Kalifornien, um mir den Rohschnitt des fertigen Films anzusehen. Einen Tag nach meiner Ankunft traf ich mich mit Brooks, der ein echter Geheimniskrämer ist, was seine Filme angeht. Das Drehbuch wird über Nacht immer weggeschlossen, und niemand außer ihm hat es je vollständig gelesen. Die Dreharbeiten von Kaltblütig waren im Juni beendet worden, und seitdem arbeitete Brooks nur noch mit einem Cutter und einem Filmvorführer daran, und wiederum durfte kein Mensch auch nur einen Meter davon sehen. Bei unserem ersten Gespräch war er blass und fahrig, was man bei einem sonst so

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