Kaltblütig
« anzog.
In der Tat hatte der Fall, der von Denver bis Chicago für Schlagzeilen sorgte, ein beachtliches Pressekorps nach Garden City gelockt.
Am Montagmittag gab Dewey im Sheriff’s Office eine Pressekonferenz. »Hier geht es um Tatsachen und nicht um Theorien«, eröffnete er den versammelten Journalisten. »Und die entscheidende Tatsache, die wir unter keinen Umständen aus den Augen verlieren dürfen, ist die, dass wir es hier nicht mit einem, sondern mit vier Morden zu tun haben. Dabei wissen wir noch nicht einmal, auf welches der vier Opfer es der Täter eigentlich abgesehen hatte. Wem der Anschlag wirklich galt. Es könnte Nancy oder Kenyon gewesen sein, ebenso gut aber auch einer der beiden Elternteile. Viele tippen auf Mr. Clutter. Weil ihm die Kehle durchgeschnitten und er am schlimmsten zugerichtet wurde. Aber das ist Theorie und keine Tatsache. Es wäre hilfreich, wenn wir wüssten, in welcher Reihenfolge die Familie gestorben ist, aber darüber kann uns der Leichenbeschauer leider keine Auskunft geben; er weiß nur, dass es zwischen Samstagabend elf und Sonntagfrüh zwei Uhr passiert sein muss.« Auf die anschließenden Fragen sagte er, nein, die Täter hätten sich an keiner der beiden Frauen »vergangen«, und nein, nach derzeitigem Kenntnisstand sei nichts gestohlen worden, und ja, auch er halte es für einen »merkwürdigen Zufall«, dass Mr. Clutter nur acht Stunden vor seinem Tod eine Lebensversicherung in Höhe von vierzigtausend Dollar abgeschlossen habe, die im Falle eines gewaltsamen Todes die doppelte Abfindungssumme garantiert.
Er, Dewey, sei sich jedoch »ziemlich sicher«, dass zwischen diesem Vertrag und dem Verbrechen keinerlei Zusammenhang bestehe; wie auch, seien die einzigen Personen, die daraus finanziellen Vorteil zögen, doch die beiden hinterbliebenen Clutter-Kinder, die älteren Töchter Mrs. Donald Jarchow und Miss Beverly Clutter.
Und ja, erklärte er den Reportern, er habe durchaus eine Vermutung, ob die Morde von einem oder mehreren Tätern begangen worden seien, wolle sich dazu aber vorläufig nicht äußern.
In Wahrheit war Dewey sich in diesem Punkt keineswegs schlüssig. Noch schwankte er zwischen zwei verschiedenen Theorien – oder »Szenarien«, wie er das nannte –, die er bei der Rekonstruktion des Tathergangs entwickelt hatte, dem »Ein-Mann-« und dem »Zwei-Mann-Szenario«. Ersteres basierte auf der Annahme, dass der Mörder ein Freund der Familie war oder doch zumindest jemand, der das Haus und seine Bewohner mehr als nur flüchtig kannte – der wusste, dass die Türen kaum je verriegelt wurden, dass Mr. Clutter allein im Parterre schlief, dass Mrs. Clutter und die Kinder im ersten Stock jeder ein eigenes Zimmer hatten. Fragliche Person, so Deweys Folgerung, musste sich dem Haus zu Fuß genähert haben, vermutlich gegen Mitternacht. Die Fenster waren dunkel, die Clutters schliefen, und Teddy, der Wachhund – nun, Teddy war dafür bekannt, dass er Angst vor Gewehren hatte. Beim Anblick der Waffe des Eindringlings hatte er vermutlich den Schwanz eingezogen und war winselnd davongeschlichen. Nach Betreten des Hauses hatte der Mörder zunächst die Telefone – eins in Mr. Clutters Büro, das andere in der Küche – lahmgelegt und war, nachdem er die Kabel durchgeschnitten hatte, in Mr. Clutters Zimmer gegangen, um ihn zu wecken. Der Eindringling zwang Mr. Clutter mit vorgehaltener Waffe, seine Anweisungen zu befolgen – und ihn in den ersten Stock zu begleiten, wo sie den Rest der Familie aus dem Schlaf rissen. Mit Stricken und Klebeband, die der Killer bei sich führte, knebelte und fesselte Mr. Clutter erst seine Frau, dann fesselte er seine Tochter (die sonderbarerweise nicht geknebelt war) und band die beiden an ihren Betten fest.
Anschließend ging der Täter mit Vater und Sohn in den Keller, wo Mr. Clutter Kenyon den Mund verkleben und ihn an der Couch im Hobbyraum festbinden musste.
Dann brachte der Täter Mr. Clutter in den Heizungskeller, schlug ihn nieder, knebelte und fesselte ihn. Jetzt hatte der Mörder freie Bahn und brachte sie einen nach dem anderen um, wobei er sorgfältig darauf achtete, die ausgeworfenen Patronenhülsen mitzunehmen. Danach machte er alle Lichter aus und verließ das Haus.
So könnte es gewesen sein; möglich war es. Aber Dewey hatte da so seine Zweifel: »Wenn Herb der Meinung gewesen wäre, dass seine Familie in Gefahr schwebt, in tödlicher Gefahr, hätte er gekämpft wie ein Löwe. Und Herb war kein Schwächling
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