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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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dessen Ausgang John sr. sehr verärgert war, weil er sich von Mr. Clutter »übern Tisch gezogen« fühlte. Sowohl John sr. als auch sein Sohn waren »notorische Säufer«; John jr. hatte deswegen sogar schon des Öfteren im Gefängnis gesessen.
    Eines unschönen Tages erschienen Vater und Sohn, nachdem sie sich mit reichlich Whiskey Mut angetrunken hatten, auf dem Hof der Clutters, um sich Herb »zur Brust zu nehmen«. Das war ihnen jedoch nicht vergönnt, denn Mr. Clutter, ein Abstinenzler, der Alkohol und Alkoholiker auf den Tod nicht ausstehen konnte, griff zum Gewehr und verjagte sie von seinem Grund und Boden. Diese Unhöflichkeit hatten ihm die beiden nicht verziehen; vor vier Wochen erst hatte John sr. einem Bekannten anvertraut: »Schon bei dem bloßen Gedanken an diesen Mistkerl zittern mir die Hände. Ich würde ihn am liebsten erwürgen.«
    Church hatte einen ähnlichen Fingerzeig erhalten. Er betraf einen Mann, der Mr. Clutter in offener Feindschaft gegenüberstand: ein gewisser Mr. Smith (Name geändert), der davon überzeugt war, dass der Besitzer der River Valley Farm seinen Jagdhund erschossen habe. Church hatte sich Smiths Farm angesehen und in der Scheune einen Strick entdeckt, der mit dem gleichen Knoten an einem Dachbalken befestigt war, den der oder die Täter zum Fesseln der vier Clutters benutzt hatten.
    »Vielleicht ist einer von denen unser Mann«, meinte Dewey. »Ein Streit – eine private Auseinandersetzung, die aus dem Ruder gelaufen ist.«
    »Wenn es nicht doch ein Raubmord war«, sagte Nye, obwohl sie Raubmord als Motiv bereits ausführlich erörtert und mehr oder minder ausgeschlossen hatten. Es sprach einfach zu vieles dagegen, vor allem Mr. Clutters fast schon sprichwörtliche Abneigung gegen Bargeld; er hatte keinen Safe und trug nie größere Summen bei sich.
    Außerdem, wenn es sich tatsächlich um einen Raubmord handelte, warum hatte der Räuber dann nicht auch Mrs. Clutters Schmuck an sich genommen – einen goldenen Ehering und einen Diamantring? Doch Nye ließ sich davon nicht beirren: »Das Ganze riecht förmlich nach einem Raub. Zum Beispiel Clutters Brieftasche. Jemand hat sie offen und durchwühlt auf Clutters Bett liegen lassen – er selbst wird es wohl kaum gewesen sein. Und Nancys Portemonnaie. Das Portemonnaie lag in der Küche auf dem Fußboden. Wie ist es dorthin gekommen?
    Wir haben im ganzen Haus nicht einen müden Cent gefunden. Von den zwei Dollar in dem Umschlag auf Nancys Schreibtisch einmal abgesehen. Und wir wissen, dass Clutter am Tag zuvor einen Scheck über sechzig Dollar eingelöst hat. Sprich, davon müssten eigentlich noch mindestens fünfzig übrig sein. Nun könnte man natürlich sagen: ›Wegen fünfzig Dollar bringt doch niemand vier Menschen um.‹ Oder: ›Gut, dann hat der Killer das Geld eben genommen – aber doch nur, um uns in die Irre zu führen, uns vorzugaukeln, dass Raub das eigentliche Motiv war.‹ Also, ich bin mir da nicht so sicher.«
    Als es dunkel wurde, unterbrach Dewey die Besprechung, um seine Frau Marie anzurufen und ihr zu sagen, dass sie mit dem Abendessen nicht auf ihn zu warten brauche. »Ja, Alvin. Ist gut«, antwortete sie, doch anders als sonst klang ihre Stimme irgendwie besorgt. Die Deweys, Eltern von zwei Söhnen, waren seit siebzehn Jahren verheiratet, und Marie, eine ehemalige FBI-Stenografin aus Louisiana, die er während seiner Zeit in New Orleans kennen gelernt hatte, zeigte durchaus Verständnis für die Unannehmlichkeiten, die sein Beruf so mit sich brachte – die ungeregelte Arbeitszeit, die Anrufe, die ihn von einem Augenblick zum anderen in die entlegensten Winkel des Staates beorderten.
    »Stimmt was nicht?«, fragte er.
    »Nein, alles bestens«, versicherte sie ihm. »Aber wenn du heute Nacht nach Hause kommst, musst du klingeln.
    Ich habe sämtliche Schlösser auswechseln lassen.«
    Jetzt dämmerte es ihm. »Nur die Ruhe, Schatz«, sagte er. »Schließ einfach alle Türen ab und mach das Licht auf der Veranda an.«
    »Was ist los? Hat Marie Angst?«, fragte einer seiner Kollegen, nachdem er aufgelegt hatte.
    »Und wie«, sagte Dewey. »Aber das haben schließlich alle.«
     
    Nicht alle. Schon gar nicht Holcombs Postmeisterin, die unerschrockene Witwe Mrs. Myrtle Clare, die ihre Mitbürger als »feiges Pack« verhöhnte, »das jetzt schlotternd vor Angst die ganze Nacht kein Auge zu tut. Meine Wenigkeit ficht das nicht an«, setzte sie hinzu, »ich schlaf so gut wie eh und je. Wenn mir einer ans Leder

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