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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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sich an, was Mr. Ewalt zu sagen hatte, stellte keine Fragen und dankte ihm für seine Mühe.
    Dann ging er nach draußen an die Sonne. Die Rupp-Farm befindet sich auf einer Anhöhe, einem frei liegenden Plateau, von wo aus er die leuchtenden Stoppelfelder der River Valley Farm sehen konnte – ein Anblick, der ihn etwa eine Stunde lang gefangen hielt. Er ließ sich durch nichts und niemanden beirren. Seine Mutter läutete zum Mittagessen und rief ihn ins Haus – immer und immer wieder, bis ihr Mann schließlich sagte: »Nun lass ihn schon in Ruhe.«
    Auch Larry, ein jüngerer Bruder, ignorierte die Essensglocke. Er strich um Bobby herum und bot ihm hilflos seine Hilfe an, obgleich der ihm mehrmals zu verstehen gab, er solle »abhauen«. Später, als der Bruder aus seiner Starre erwachte und querfeldein in Richtung Holcomb marschierte, heftete Larry sich an seine Fersen. »He, Bobby. Pass auf. Wenn du schon wegwillst, warum nehmen wir dann nicht den Wagen?« Sein Bruder gab keine Antwort. Er ging oder rannte vielmehr wild entschlossen auf sein Ziel zu, doch Larry hielt mühelos Schritt. Trotz seiner erst vierzehn Jahre war er der Größere von beiden, hatte er den breiteren Brustkorb, die längeren Beine, denn ungeachtet seiner sportlichen Meriten war Bobby nur knapp mittelgroß – kompakt, aber schlank, ein gut gewachsener Junge mit offenem, auf seine Art recht hübschem Gesicht. »He, Bobby. Pass auf.
    Das hat doch keinen Zweck. Du darfst sie sowieso nicht sehen.« Bobby drehte sich zu ihm um und sagte: »Geh endlich. Geh nach Hause.« Der jüngere Bruder blieb ein Stück zurück und folgte Bobby in gemessenem Abstand.
    Trotz der für die Kürbiszeit typischen Temperatur und der flirrend trockenen Luft schwitzten die beiden Jungen, als sie bei der Absperrung ankamen, mit der die Polizei die Einfahrt zur River Valley Farm gesichert hatte. Viele Freunde der Clutters und auch Fremde aus ganz Finney County hatten sich am Tatort eingefunden, doch niemand durfte die Absperrung passieren, die bald nach Eintreffen der Brüder kurz geöffnet wurde, um die vier zum Abtransport der Opfer erforderlichen Krankenwagen sowie das Dienstfahrzeug des Sheriffs und seiner Männer durchzulassen – Männer, die just in diesem Augenblick den Namen Bobby Rupp im Munde führten. Denn Bobby war, wie er noch vor Einbruch der Dunkelheit erfahren sollte, ihr Hauptverdächtiger.
    Von ihrem Wohnzimmerfenster aus sah Susan Kidwell den weißen Trauerzug vorübergleiten und blickte ihm nach, bis er um die nächste Ecke verschwunden war und sich der aufgewirbelte Staub der Schotterstraße wieder gesetzt hatte. Sie schaute immer noch nach draußen, als plötzlich Bobby, gefolgt von seinem großen kleinen Bruder, in ihr Blickfeld trat, eine schwankende Gestalt, die zielstrebig in ihre Richtung kam. Sie ging hinaus auf die Veranda und empfing ihn mit den Worten: »Ich wünschte, du hättest es von mir erfahren.« Bobby begann zu weinen. Larry drückte sich derweil im Vorgarten des Lehrerhauses herum und kauerte an einem Baum. Er konnte sich nicht entsinnen, Bobby jemals weinen gesehen zu haben, und das wollte er auch nicht, deshalb starrte er beschämt zu Boden.
     
    Weit weg, in dem kleinen Örtchen Olathe, lag Perry in einem Hotelzimmer, dessen Jalousien die grelle Mittagssonne verdunkelten, und schlief, während auf dem Nachttisch ein graues Kofferradio leise murmelte. Bis auf seine Stiefeletten war er völlig angekleidet. Er hatte sich einfach aufs Bett fallen lassen, mit dem Gesicht nach unten, als habe ihn der Schlaf, wie eine Waffe, hinterrücks niedergestreckt. Die schwarzen, mit Silberschnallen versehenen Stiefeletten lagen im Waschbecken, wo sie in warmem, schwach rose gefärbtem Wasser weichten.
    Ein paar Meilen weiter nördlich, in der gemütlichen Küche eines bescheidenen Farmhauses, verzehrte Dick sein Sonntagsmahl. Die anderen am Tisch – seine Mutter, sein Vater und sein jüngerer Bruder – konnten an seinem Verhalten nichts Ungewöhnliches entdecken. Er war gegen zwölf gekommen, hatte seiner Mutter einen Kuss gegeben, die Fragen seines Vaters zu dem angeblichen Ausflug nach Fort Scott bereitwillig beantwortet und sich wie üblich an den Mittagstisch gesetzt. Nach dem Essen machten es sich die drei männlichen Mitglieder der Familie im Wohnzimmer bequem, um sich im Fernsehen ein Basketballspiel anzusehen. Die Übertragung hatte kaum begonnen, als Dick zum Erstaunen seines Vaters mit einem Mal zu schnarchen anfing; daraufhin sagte

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