Kaltblütig
aus. Eins steht jedenfalls fest. Meine Frau und ich, wir haben hier die letzte Nacht geschlafen. Wir ziehen in ein Haus am Highway.«
Die Männer arbeiteten von mittags, bis es dunkel wurde. Schließlich packten sie alles, was sie gesammelt hatten, auf einen Pickup-Truck und fuhren, mit Stoecklein am Steuer, auf das Nordfeld der Farm hinaus, ein flaches Fleckchen Erde, das in nur einer Farbe schillerte – dem leuchtenden Gelbbraun des abgeernteten Novemberweizens. Dort entluden sie den Truck und schichteten Nancys Kissen, das Bettzeug, die Matratzen und die Couch zu einer Pyramide auf; Stoecklein übergoss sie mit Petroleum und riss ein Streichholz an.
Keiner der Anwesenden hatte der Familie näher gestanden als Andy Erhart. Er war ein freundlicher, liebenswürdiger Mann, ein Akademiker mit schwieligen Arbeiterhänden und sonnenverbranntem Nacken, der zusammen mit Herb die Kansas State University besucht hatte. »Wir waren dreißig Jahre lang befreundet«, sagte er später, und in diesen drei Jahrzehnten hatte er miterlebt, wie sein Freund es vom schlecht bezahlten Landwirtschaftsbeamten zu einem der bekanntesten und angesehensten Rancher der Region gebracht hatte: »Alles, was Herb besaß, hatte er sich selbst erarbeitet – mit Gottes Hilfe. Er war bescheiden, aber stolz, und dazu hatte er auch allen Grund. Er hatte eine prachtvolle Familie. Er hatte etwas gemacht aus seinem Leben.« Aber dieses Leben … Wie konnte das passieren?, überlegte Erhart, als der Scheiterhaufen Feuer fing. Wie war es möglich, dass solche Mühe, solch unbescholtene Tugend über Nacht in Rauch aufging – Rauch, der jetzt in dünnen Schwaden in den weiten, alles verschlingenden Himmel stieg?
Das Kansas Bureau of Investigation mit Hauptsitz in Topeka beschäftigt eine Gruppe von neunzehn erfahrenen, über ganz Kansas verteilten Detectives, die immer dann aktiv werden, wenn ein Fall die Kompetenz der örtlichen Behörden überschreitet. Der für Garden City und einen Großteil von West-Kansas zuständige Beamte des Bureaus ist ein hagerer, gut aussehender, in vierter Generation in Kansas ansässiger Mann von siebenundvierzig Jahren namens Alvin Adams Dewey. Und so war es nur logisch, dass Earl Robinson, der Sheriff von Finney County, Al Dewey den Fall Clutter übertrug. Logisch und vernünftig. Denn Dewey, der von 1947 bis 1955 selbst Sheriff von Finney County gewesen war, nachdem er von 1940 bis 1945 als Special Agent des FBI in New Orleans, San Antonio, Denver, Miami und San Francisco gedient hatte, war aufgrund seiner beruflichen Qualifikation genau der richtige Mann für einen so komplizierten Kasus wie die scheinbar unmotivierten CIutter-Morde, in dem es so gut wie keine Anhaltspunkte gab. Überdies war ihm die Klärung des Verbrechens, wie er später sagte, »ein persönliches Anliegen«. Seine Frau und er »wir fühlten uns Herb und Bonnie sehr verbunden … wir sahen uns jeden Sonntag in der Kirche und besuchten uns oft«, erklärte er und setzte hinzu: »Aber so ginge es mir auch, wenn ich die Familie nicht gekannt und gemocht hätte.
Denn eins kann ich Ihnen sagen, ich habe schon viel Schlimmes gesehen. Aber nichts davon war auch nur annähernd so grausam wie dieser Mord. Und wenn es bis an mein Lebensende dauert, ich werde herausfinden, was in diesem Haus passiert ist, wer es getan hat und warum.«
Schließlich waren alles in allem achtzehn Mann hauptamtlich mit dem Fall befasst, darunter drei der fähigsten KBI-Ermittler – die Special Agents Harold Nye, Roy Church und Clarence Duntz. Als dieses Trio in Garden City eintraf, stellte Dewey zufrieden fest, er habe jetzt »ein starkes Team« beisammen, und fügte hinzu: »Der Täter sollte sich warm anziehen.«
Das Sheriff’s Office liegt im zweiten Stock des Amtsgerichts von Finney County, eines schmucklosen Massivbaus inmitten eines sonst recht schmucken, baumbestandenen Platzes. Heutzutage geht es in Garden City, einer einst reichlich turbulenten Frontiersiedlung, eher gemächlich zu. Der Sheriff hat im Großen und Ganzen nicht allzu viel zu tun, und in den drei spärlich möblierten Büroräumen herrscht gewöhnlich eine ruhige Atmosphäre; Mrs. Edna Richardson, die gastfreundliche Sekretärin, hat für Besucher immer eine Tasse frisch gebrühten Kaffee auf dem Herd stehen und stets Zeit für »ein kleines Schwätzchen«. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als »das mit dieser Clutter-Sache losging«, die, wie sie sich beklagte, »jede Menge Fremde und Zeitungsleute
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