Kaltblütig
verurteilt und verließ Worcester wiederum an einem regnerischen Novembernachmittag. »Ich fuhr nach New York und nahm mir ein Zimmer in einem Hotel an der Eighth Avenue«, sagte Perry. »Gleich um die Ecke von der Fortysecond Street.
Schließlich fand ich einen Nachtjob. Als Aushilfe in einer Spielhalle. Direkt an der Fortysecond Street, neben einem Automatenrestaurant, in dem ich aß – wenn überhaupt.
Drei Monate lang bin ich über den Broadway praktisch nicht hinausgekommen. Dazu hatte ich einfach nicht die richtigen Klamotten. Bloß Westernklamotten – Jeans und Cowboystiefel. Aber auf der Fortysecond Street juckt das kein Schwein, da geht alles – einfach alles. So viele irre Typen hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen.«
Er überwinterte in dieser hässlichen, neonhellen Gegend, in der es nach Popcorn, siedenden Hot Dogs und Orangenlimonade duftete. Aber dann, an einem strahlenden Märzmorgen kurz vor Frühlingsbeginn »holten mich zwei FBI-Arschlöcher aus dem Bett. Und verhafteten mich im Hotel. Peng! ging es zurück nach Kansas. Nach Phillipsburg. In denselben kuscheligen kleinen Knast. Sie nagelten mich ans Kreuz – Diebstahl, Gefängnisausbruch, schwerer Autodiebstahl. Ich kriegte fünf bis zehn Jahre. In Lansing. Nach einer Weile schrieb ich Dad, was passiert war. Und meiner Schwester Barbara. Sonst lebte ja keiner mehr. Jimmy Selbstmord, Fern aus dem Fenster gesprungen, meine Mutter tot. Und das schon seit acht Jahren. Bloß Dad und Barbara waren noch übrig.«
Unter den ausgewählten Dingen, die Perry nicht in dem Hotelzimmer in Mexico City zurücklassen mochte, befand sich auch ein Brief von Barbara. Der in einer gefälligen, leserlichen Schrift verfasste Brief, datiert vom 28. April 1958, hatte den Empfänger erreicht, als der bereits seit fast zwei Jahren im Gefängnis saß:
Liebster Br. Perry, heute haben wir Deinen 2. Brief erhalten & entschuldige dass ich nicht schon früher geschrieben habe. Wie bei Euch wird es auch bei uns langsam wärmer & ich glaube ich leide unter Frühjahrsmüdigkeit aber das wird schon wieder. Dein letzter Brief hat uns sehr mitgenommen wie Du Dir sicher denken kannst aber das war nicht der Grund weshalb ich Dir nicht geschrieben habe – ja die Kinder halten mich auf Trab & obwohl ich dir schon seit einiger Zeit schreiben wollte finde ich nur selten Zeit mich in Ruhe auf einen Brief zu konzentrieren. Donnie macht jetzt schon selbst die Türen auf & klettert auf Stühlen & anderen Möbeln herum & ich habe ständig Angst dass er herunterfällt.
Inzwischen kann ich die Kinder ab & zu im Garten spielen lassen – aber ich muss immer mitgehen damit sie sich nichts tun wenn ich nicht aufpasse. Aber nichts währt ewig & ich weiß jetzt schon dass ich mir Sorgen machen werde wenn sie auf der Straße herumlaufen und ich nicht weiß wo sie stecken. Hier einige Maße, falls es Dich interessiert …
Körpergröße Gewicht Schuhgröße Freddie 92,7 cm 12,0 kg 23–24 schmal Baby 95,2 cm 13,3 kg 24 schmal Donnie 86,3 cm 11,7 kg 22–23 breit Wie Du siehst ist Donnie für seine 15 Monate schon ziemlich groß & mit seinen 16 Zähnen und seiner sprühenden Lebendigkeit – man muss ihn einfach gern haben. Er trägt dieselbe Kleidergröße wie Baby und Freddie nur die Hosen sind ihm noch zu lang.
Ich will versuchen Dir einen langen Brief zu schreiben & werde deshalb wahrscheinlich ein paar Mal unterbrechen müssen wie zum Beispiel jetzt es ist Zeit für Donnies Bad – Baby & Freddie habe ich heute Morgen schon gebadet es ist nämlich ziemlich kalt heute & da sind sie drin geblieben. Gleich geht’s weiter
… Was das Tippen angeht … Also – seien wir ehrlich! Ich kann eigentlich gar nicht richtig tippen. Ich benutze 1 bis 5 Finger & obwohl ich einigermaßen zurecht komme & Big Fred manchmal bei seinen Geschäftsbriefen helfe, brauche ich 1 Std. wofür jemand der es gelernt hat wahrscheinlich höchstens eine Viertelstunde braucht … Im Ernst, ich habe weder Zeit noch Lust es richtig zu lernen. Aber ich finde es toll dass Du dabei geblieben bist und jetzt so prima tippen kannst. Ich glaube, wir waren alle sehr aufgeweckt (Jimmy, Fern, du und ich) & mit einer künstlerischen Veranlagung gesegnet – unter anderem. Mutter & Dad waren schließ lich auch irgendwie Künstler.
Ich finde, keiner von uns hat das Recht einem anderen die Schuld dafür zu geben was wir aus unserem Leben gemacht haben. Es ist erwiesen dass die meisten von uns mit 7 das Alter der Vernunft
Weitere Kostenlose Bücher