Kaltblütig
dass er lieber mit seinem Sohn zusammen ist und den einsamen Wolf spielt, sonst könnte er nämlich bei uns leben wo er geliebt wird statt in seinem kleinen Wohnwagen sehnsüchtig & einsam & allein auf seinen Sohn zu warten. Ich mache mir Sorgen um ihn & wenn ich ich sage meine ich damit auch meinen Mann weil auch mein Mann unseren Dad respektiert. Weil er ein MANN ist. Zugegeben Dad ist nicht besonders gebildet aber in der Schule kriegt man sowieso nur beigebracht wie man Wörter liest und schreibt aber wie man diese Wörter anwendet, im richtigen Lehen, das kann man nur im LEBEN lernen. Dad hat viel erlebt & wenn Du ihn für ungebildet hältst & unfähig »die wissenschaftliche Bedeutung usw.« der Probleme des Lebens zu erkennen beweist das nur dass Du ein Dummkopf bist. Eine Mutter ist immer noch die Einzige die ein Wehweh wegküssen und alles wieder gut machen kann – erklär mir das mal – wissenschaftlich.
Tut mir leid wenn ich es dir so deutlich sage aber ich muss das einfach mal loswerden. Es tut mir leid dass dieser Brief (von der Gefängnisleitung) zensiert wird, & ich hoffe inständig dass er sich nicht negativ auf Deine Entlassung auswirkt aber ich finde Du sollst wissen & begreifen was Du angerichtet hast. Dabei geht es mir in erster Linie um Dad denn ich lebe nur für meine Familie aber Du bist der Einzige den Dad wirklich liebt – kurz, seine »Familie«. Natürlich weiß er dass ich ihn liebe aber wir stehen uns nicht besonders nahe wie Du weißt.
Deine Haftstrafe ist nichts worauf Du stolz sein kannst & Du wirst damit leben müssen & versuchen Deinen Fehler wieder auszubügeln was Dir schwer fallen dürfte so lange Du der Meinung bist dass alle anderen dumm & ungebildet & verständnislos sind. Du bist ein Mensch mit freiem Willen. Womit Du über dem Tier stehst. Aber wenn Du ohne Rücksicht und Mitgefühl für Deine Mitmenschen durchs Leben gehst – bist Du wie ein Tier – »Auge um Auge, Zahn um Zahn« & so erlangt man weder Glück noch Seelenfrieden.
Verantwortung trägt niemand gern – aber wir alle sind der Gemeinschaft in der wir leben & ihren Gesetzen verantwortlich. Wenn es an der Zeit ist Verantwortung für Ehe und Familie oder im Beruf zu übernehmen, dann trennt sich die Spreu vom Weizen – denn Du kannst Dir sicher vorstellen wie es auf der Welt zuginge, wenn jeder sagen würde: »Ich möchte ein freier Mensch sein, ohne Verantwortung, & sagen können was ich denke & tun & lassen was ich will.« Wir alle haben die Freiheit zu sagen & zu tun was uns gefällt – aber nur solange diese unsere »Freiheit« die unserer Mitmenschen nicht einschränkt.
Denk darüber nach, Perry. Du bist überdurchschnittlich intelligent, aber Deine Argumentation geht an der Sache vorbei. Vielleicht liegt es an dem harten Alltag in der Haft. Wie auch immer – denk daran – Du & nur Du trägst die Verantwortung und es liegt allein bei Dir diesen Abschnitt Deines Lebens erfolgreich hinter Dir zu lassen. In der Hoffnung bald wieder von Dir zu hören beten für Dich
Deine Dich liebende
Schwester & Schwager
Barbara & Frederic & Familie
Wenn Perry diesen Brief aufhob und seiner Sammlung besonderer Schätze hinzufügte, dann geschah dies nicht aus Zuneigung. Im Gegenteil. Er »hasste« Barbara und hatte Dick vor ein paar Tagen erst erklärt: »Weißt du, was mir wirklich leid tut? Dass meine Schwester nicht mit in dem Haus war.« (Dick hatte gelacht und ihm eine ähnliche Fantasie gestanden: »Ich muss immer daran denken, wie viel Spaß wir hätten haben können, wenn meine zweite Frau dabei gewesen wäre. Sie und ihre ganze beschissene Bagage.«) Nein, der Brief war ihm nur deshalb so lieb und teuer, weil sein Freund aus dem Gefängnis, der »superintelligente« Willie-Jay, eine »sehr einfühlsame« Analyse davon angefertigt hatte, in Form zweier einzeilig getippter Schreibmaschinenseiten mit der Überschrift »Eindrücke, die ich aus dem Brief gewonnen habe«:
EINDRÜCKE, DIE ICH AUS DEM BRIEF GEWONNEN HABE
1) Als sie diesen Brief begann, hatte sie eigentlich eine mitfühlende Demonstration christlicher Prinzipien im Sinn. Will sagen, in Erwiderung auf Deinen Brief, der sie anscheinend sehr verärgert hat, wollte sie Dir die andere Wange hinhalten, in der Hoffnung, auf diese Weise ein Gefühl des Bedauerns über Deinen ersten Brief in Dir zu wecken und Dich damit in die Defensive zu drängen.
Leider sind nur wenige Menschen in der Lage, ein allgemeines ethisches Prinzip zu
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