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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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eigenes Brot.
    Ich habe sogar eingemacht – selbstgepflückte Äpfel, Holzapfelgelee. Jedenfalls zogen wir die nächsten sechs Jahre kreuz und quer durchs Land. Wir blieben nie lange an einem Ort. Wenn wir mal länger irgendwo blieben, guckten die Leute Dad misstrauisch an und benahmen sich, als ob er nicht ganz koscher war, und das machte mich fertig, es tat mir richtig weh. Weil ich Dad liebte, damals. Obwohl er manchmal ziemlich grob war. Und mich ständig herumkommandierte. Trotzdem liebte ich ihn. Darum war ich jedes mal froh, wenn wir weiterzogen.« Weiterzogen – nach Wyoming, Idaho, Oregon und schließlich nach Alaska. In Alaska weckte Tex in seinem Sohn den Traum vom Gold, brachte ihm bei, in den sandigen Betten der eisigen Gebirgsbäche danach zu suchen, und dort lernte Perry auch, wie man mit einem Gewehr umging, einen Bären häutete, die Fährte von Wolf und Hirsch verfolgte.
    »Es war saukalt«, erinnerte sich Perry. »Dad und ich schliefen eng aneinandergekuschelt, in Decken und Bärenfelle gehüllt. Morgens, vor Sonnenaufgang, machte ich rasch Frühstück, Brötchen mit Sirup, gebratenes Fleisch, und dann gingen wir an unser Tagewerk. Das wäre auch alles nicht weiter schlimm gewesen, aber ich war kein Kind mehr; und je älter ich wurde, desto weniger verstand ich mich mit Dad. Einerseits wusste er alles, andererseits wusste er gar nichts. Von mir hatte er im Grunde keinen Schimmer. Nicht den Hauch einer Ahnung. Zum Beispiel dass ich auf Anhieb Mundharmonika spielen konnte. Und Gitarre. Dass ich musikalisch unglaublich begabt war. Davon bekam Dad überhaupt nichts mit. Es interessierte ihn nicht. Oder dass ich gern las. Meinen Wortschatz erweiterte. Songs schrieb. Und dass ich zeichnen konnte. Aber ermuntert worden bin ich nie – weder von ihm noch von anderen. Nachts lag ich wach – teils aus Angst um meine Blase, teils weil mir alles Mögliche durch den Kopf ging. Immer wenn es so kalt war, dass man kaum Luft bekam, dachte ich an Hawaii.
    An einen Film, den ich gesehen hatte. Mit Dorothy Lamour. Da wollte ich hin. Wo die Sonne schien. Wo man nur Baströckchen und Blumen trug.«
    Ein bisschen mehr hatte Perry schon an, als er sich an einem lauen Frühlingsabend des Jahres 1945, kurz vor Kriegsende, in einem Salon in Honolulu wiederfand, wo er sich eine Schlange mit Dolch auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Er war über folgende Stationen nach Hawaii gelangt: einen Streit mit seinem Vater, eine Tramptour von Anchorage nach Seattle, einen Besuch in der Werbestelle der Handelsmarine. »Wo ich nie im Leben hingegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, was mich da erwartet«, sagte Perry einmal. »Die Arbeit machte mir nichts aus, und ich fuhr gern zur See – Hafenstädte und so weiter und so fort. Aber die Schwuchteln an Bord ließen mich nicht in Ruhe. Ich war damals sechzehn und ein schmächtiges Kerlchen. Klar wusste ich mich zu wehren. Aber längst nicht alle Schwuchteln sind Tunten. Mannomann, da gab es Schwuchteln, die konnten einen Billardtisch aus dem Fenster werfen. Und das Klavier gleich hinterher. Solche Mädels können einem das Leben zur Hölle machen, besonders wenn sie sich zusammentun und zu mehreren auf einen losgehen, da hat man als kleiner Junge keine Chance. So was kann einen buchstäblich in den Selbstmord treiben. Jahre später, als ich zur Army ging – als ich in Korea stationiert war –, hatte ich genau dasselbe Problem. Ich war ein guter Soldat, nicht schlechter als die anderen; sogar den Bronze Star hatte ich bekommen.
    Aber befördert wurde ich nicht. Nach vier Jahren, drei davon in diesem beschissenen Koreakrieg, hätte ich mindestens Corporal sein müssen. Denkste. Und warum?
    Weil unser Sergeant mir an die Wäsche wollte. Und ich ihn nicht ranließ. Gott, wie ich das hasse. Ich kann das einfach nicht vertragen. Obwohl – ich weiß nicht.
    Eigentlich habe ich nichts gegen Schwule. Solange sie sich nicht an mich ranmachen. Der beste Freund, den ich je hatte, ein sensibler, intelligenter Bursche, war schließlich auch schwul.«
    In der Zeit zwischen seiner Entlassung aus der Handelsmarine und seinem Eintritt in die Army hatte Perry Frieden geschlossen mit seinem Vater, der nach dem Weggang seines Sohnes zunächst nach Nevada und dann wieder zurück nach Alaska gezogen war. Als Perry 1952 aus dem Militärdienst ausschied, schmiedete der Alte eifrig Pläne, um sein Zigeunerleben endgültig aufgeben zu können. »Dad war Feuer und Flamme«, erinnerte sich Perry. »Er

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