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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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Einer, der sich aufgegeben zu haben schien.
    Es wurde Zeit, dass sich etwas änderte. Sie war ständig überarbeitet, weil er nichts machte. Bei aller Freundschaft und Dankbarkeit für seine Hilfe vor vielen Jahren und bei allem Verständnis für seine Situation konnte sie das schließlich nicht bis zu seiner Pensionierung tun.
    Außerdem hatte sie es ehrlich satt. Nicht nur, dass keine Fortschritte erkennbar waren, im Gegenteil. Es schien immer schlimmer zu werden.
    Selbst in ihrer knappen Freizeit machte sich Wolfgang breit. Noch vor ein paar Stunden war sie mit Thomas auf dessen kürzlich erworbener Jacht über die Ostsee gesegelt. Es hätte so schön sein können. Doch Thomas hatte nur von Wolfgangs jüngster Verfehlung erzählt. Einer, die ihn den Kopf kosten könnte und, wenn es ganz schlimm käme, einen Unschuldigen das Leben:
    Wolfgang hatte Thomas gebeichtet, im Suff seine Dienstwaffe verloren oder irgendwo vergessen zu haben. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was alles geschähe, wenn damit ein Mensch getötet würde.
    Sie durfte ihn deshalb jetzt nicht einmal anbrüllen. Thomas hatte sie beschworen zu schweigen, weil Wolfgang versuchen wollte, die Waffe wiederzufinden. Nur diese Woche hatte er sich ausbedungen. Wenn er die Waffe dann nicht gefunden hätte, würde er den Verlust melden. Aber so weit würde es nicht kommen. Irgendwo müsse sie ja sein.
    Sie verließ die A 20 und folgte der L 13. Alle paar Meter ragten große Werbeschilder in die Luft. »Wohnen am schönen Brooksee«, las sie. Links in der Senke konnte sie den See bereits erahnen. Noch war er durch ein dichtes Wäldchen geschützt.
    Der Wagen schlingerte über den Matsch, den die Baufahrzeuge auf der Dorfstraße breit gefahren hatten. Wiebke fuhr rechts ran und stellte den Motor ab. Sie stiegen aus, kämpften sich durch die Menschenmassen und gelangten schließlich zum Fundort. Wiebke starrte minutenlang. Der Anblick war bizarr.
    Wie ein gewaltiges Monster stand dort der Bagger. Ein menschlicher Schädel ragte in den Himmel wie von einer riesigen Pranke gehalten.
    Sein oder nicht sein.
    Das Skelett, teilweise zerstört durch die rohe Gewalt des Aushubes, harrte der Sicherung durch die Polizei.
    Sie schaute angewidert zur Seite. Wolfgang dagegen war ruhig. Ein Toter machte ihm schon länger nichts mehr aus. Außerdem dachte er wohl gerade eher daran, wie er seine Waffe wiederfinden könnte.
    Der Pathologe der Gerichtsmedizin wirkte etwas ratlos.
    »Das wird ein hartes Stück Arbeit«, sagte Streicher. »Und fragt mich jetzt bitte nicht nach der wahrscheinlichen Todeszeit. Ich bin froh, wenn ich das Jahr hinkriege.«
    Wolfgang und Wiebke nickten. Die Kollegen der Spurensicherung sammelten jeden Fetzen Stoff, jede Spur, einfach alles, was sie finden konnten, ein. Die Analyse würde Wochen in Anspruch nehmen. Wen hatte man da in der Einsamkeit verscharrt? Ganz sicher wusste sie, dass dieser Tote hier nicht an Altersschwäche gestorben war. Man hatte ihn umgebracht und so die Leiche entsorgt. Aber wer und vor allem: warum?
    Unter dem wütenden Protest des Bauleiters wurde die Baustelle gesperrt. Das Wäldchen hatte noch eine Gnadenfrist erhalten. Mit ihm der See, die Vögel und die Frösche.
    Wenige Wochen allenfalls.
    Aber immerhin.
    Die Umweltschützer applaudierten.
    ***
     
    Schweißgebadet wachte er auf. Es war zwei Uhr siebzehn. Wieder hatte er nur ein paar Stunden geschlafen, wie seit drei Tagen schon. Morgen, am Freitag, war ein wichtiger Termin in einem Großverfahren. Deswegen hatte er aber keinen Grund, schlaflose Nächte zu erleiden. Er war viel zu sehr Profi und verfügte über genug Erfahrung, auch schwierige Prozesse souverän zu meistern. Günters Welt war auf andere Weise massiv bedroht. Ein einfacher Brief schwebte über ihm wie ein scharfes, an einem dünnen Faden aufgehängtes Damoklesschwert, das jederzeit niedersausen und ihn vernichten könnte.
    Er schaltete das Licht ein, stand auf, ging in sein Büro, öffnete den kleinen Tresor, in dem er seine wichtigsten privaten Unterlagen aufbewahrte, und holte den an »Oberstaatsanwalt Günter Menn« adressierten C4-Umschlag hervor.
    Frierend stand er da und las zum wiederholten Male die Zeilen, obwohl er sie längst auswendig kannte.
     
    Mein lieber alter Freund,
    wir haben uns ja völlig aus den Augen verloren seit unseren gemeinsamen Tagen in Köln. Wie ich gehört habe, bist du inzwischen etablierter Staatsanwalt. Daran bin ich, wie du weißt, nicht ganz unschuldig.
    Du willst

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