Kalte Fluten
dran an dem Spruch. Was glauben Sie, was die Presse mit uns macht, wenn Ihre Waffe demnächst bei einem Raubüberfall oder Mord verwandt wird? Zerreißen wird sie uns.«
»Aber das kann doch passieren …«, sagte Wolfgang, wohl wissend, dass es passieren konnte, aber eben nicht durfte.
»Nein, Herr Kollege, da widerspreche ich Ihnen massiv. Waffen gehören zu den sensibelsten Ausrüstungsgegenständen. Da sage ich Ihnen ja wohl nichts Neues! Das wird Konsequenzen haben. Das wissen Sie hoffentlich.«
Wolfgang nickte schuldbewusst. Wie das Kleinkind, wie der Schüler, wie der Jugendliche.
»Herr Franke«, sagte Zielkow dann in überraschend väterlichem Ton. »Sie sind ein hervorragender Polizist. Aber seit einiger Zeit mache ich mir Sorgen. Der schreckliche Tod Ihrer Tochter, die Trennung von Ihrer Frau. Das alles hat Sie wohl sehr mitgenommen, nicht wahr?«
»Es sind Schicksalsschläge, aber ich komme damit zurecht«, log Wolfgang.
»Mir ist auch zu Ohren gekommen«, kam Zielkow zum Kern, »dass Sie dem Alkohol mehr zusprechen, als Ihnen guttut.«
»Wer sagt das?«, fragte Wolfgang. Er fragte es zu laut, zu aufgeregt und zu betroffen, als dass Zielkow nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen konnte. Angesprochen auf ihr Problem reagieren Alkoholiker abweisend und aggressiv, sie rechtfertigen sich.
Wolfgang ärgerte sich augenblicklich. Er hatte sich verraten. Zielkow war noch nie bekannt dafür gewesen, feinfühlig mit den Schwächen seiner Untergebenen umzugehen. Der Dienst ging ihm über alles. Nun würde Zielkow ihn als Gefahr wahrnehmen.
»Herr Kollege«, sagte Zielkow begütigend. »Darauf kommt es doch gar nicht an. Stimmt es denn?«
»Unsinn«, bellte Wolfgang. »Ich trinke so viel oder so wenig wie alle anderen auch.« Er schwor sich bei diesen Worten, seinen Konsum auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Jetzt, da er wusste, dass Zielkow ihn unter Beobachtung hatte, da ihm dieser peinliche Fehler mit der Waffe unterlaufen war, musste er sich im Dienst am Riemen reißen. Aber wie viel war »erträglich« angesichts eines unerträglichen Lebens?
»Dann ist es ja gut. Es ist ohnehin Ihre Sache, was Sie in Ihrer Freizeit tun. Solange der Dienst nicht darunter leidet«, sagte Zielkow und wiederholte wie zur Betonung: »Solange der Dienst nicht darunter leidet.«
»Natürlich«, kam es militärisch knapp zurück. »Ist sonst noch etwas?«
»Wegen der Waffe muss ich natürlich ein offizielles Disziplinarverfahren einleiten.«
»Natürlich, Chef.«
»Ich hoffe im Übrigen sehr, dass Sie und Frau Sollich möglichst schnell herausbekommen, wer diese verbuddelte Leiche war und was dahintersteckt.«
»Wir haben dem Fall absolute Priorität eingeräumt.«
»Ich weiß«, sagte Zielkow gedehnt. »Aber die Presse macht mir die Hölle heiß. So eine Leiche, irgendwo in der Einöde unter mysteriösen Umständen vergraben, regt nun einmal die Phantasie der Herren der schreibenden Zunft massiv an.«
»Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
»Das will ich hoffen. Und nun zurück an die Arbeit.«
»Jawohl.«
***
Wiebke war in die ersten Ergebnisse der Untersuchung der Leiche vom See durch die Rechtsmedizin vertieft. Daneben lag der vorläufige Bericht der Spurensicherung. Der Tote hatte jetzt einen Namen und ein Gesicht. Es war Fritjof Hansen, da war sie sicher, auch wenn der letzte Beweis noch erbracht werden musste. Und Wolfgang kam als Täter in Frage. Wieder einmal. Ihr Verdacht hatte neue Nahrung erhalten. Sie musste geschickt vorgehen, um von Wolfgang die Wahrheit zu erfahren.
Die Tür ging auf, und Wolfgang trat ein. Hektisch klappte sie den Aktendeckel zu, als wenn sie bei irgendetwas Verbotenem ertappt worden wäre. Doch Wolfgang war zu sehr mit sich beschäftigt, als dass er das bemerkte.
»Und? Wie war es?«, fragte sie.
»Ich muss mich erst mal für gestern Abend entschuldigen«, sagte er. »Thomas rufe ich deswegen auch gleich noch an.«
Gut, dass ich nicht mit Thomas gewettet habe, dachte Wiebke. Muss er denn immer recht haben?
»Mit dem Chef ging es so«, fuhr Wolfgang fort. »Mein Kopf ist noch dran, ich kriege ein Disziplinarverfahren, das sich gewaschen hat, und dann ist es gut.«
Wiebke nahm es zur Kenntnis und überlegte gleichzeitig fieberhaft, wie sie zum Thema Leiche am Brooksee wechseln könnte, ohne dass es wie ein Verhör wirken würde. Unerwartet machte Wolfgang es ihr leicht.
»Was macht unsere Leiche?«, fragte er nämlich.
»Also«, sagte Wiebke gedehnt. »Die
Weitere Kostenlose Bücher