Kalte Freundschaft
da wart! Ich komme diese Woche mal abends vorbei, damit wir uns in Ruhe unterhalten können.«
»Fein. Bring ruhig auch mal deinen Eelco mit. Er wirkt sehr nett, ich würde ihn gern besser kennenlernen«, sagt ihre Mutter. »Wo steckt eigentlich Marielle? Ihr will ich auch noch Tschüs sagen.«
»Keine Ahnung, vielleicht in ihrem Zimmer. Geh doch mal eben rauf.« Mit einem kräftigen Ruck am Korkenzieher befreit Nadine die Flasche vom Verschluss
und gießt sich sogleich ein Glas ein. Nadines Mutter verschwindet und kehrt bald darauf zurück.
»Und? Ist Marielle in ihrem Zimmer?«, fragt Nadine sogleich.
»Ja. Sie sieht sich gerade ihre Videoaufnahmen an. Nadine, du passt doch gut auf das Kind auf, ja? Wir haben von dem Mord an der jungen Frau gehört. Marielle sollte abends nicht mehr unterwegs sein.«
»Sie ist sechzehn, Mam. Da kann ich sie wohl kaum zu Hause einsperren.«
»Sechzehn ist reichlich jung«, meint ihr Vater.
»In dem Alter ist man noch ein Kind«, bestätigt Anna. »Und Kinder muss man vor sich selbst schützen. Auch wenn sie älter wirken, als sie sind.«
»Marielle achtet darauf, dass sie bei Dunkelheit nicht allein unterwegs ist«, versichert Nadine ihrer Mutter. »Wenn sie ausgeht, fährt sie immer mit Freunden zusammen nach Hause. Und falls nicht, hole ich sie mit dem Auto ab.«
Halbwegs beruhigt verabschieden sich Nadines Eltern und besteigen ihr von der langen Fahrt staubiges und schmutziges Wohnmobil.
Nadine winkt ihnen nach, dann geht sie wieder ins Haus.
Es ist kühl geworden. Sie fröstelt und schlüpft in die Strickjacke, die über einem Stuhl hängt.
Langsam versammeln sich immer mehr Gäste im Wohnzimmer. Joella und Tom räumen das Büfett im Garten ab, Sigrid brüht Kaffee für die Nachtschwärmer auf.
»Du hast ausgesprochen nette Freunde, Nadine.« Eelco legt den Arm um sie. »Und morgen früh jede Menge Arbeit, fürchte ich«, fügt er hinzu.
»Ich hatte gehofft, dass du hier übernachtest.«
»Damit ich beim Aufräumen helfe?« Er grinst. »Ich weiß nicht so recht, ob das nach meinem Geschmack ist, nehme das Angebot aber trotzdem gern an.«
»Keine Angst, das haben wir im Nu geschafft. Und danach ist noch reichlich Zeit, etwas zu unternehmen.«
»Für morgen ist schönes Wetter angesagt. Sollen wir ein Boot mieten?«
»Gute Idee!« Nadine gibt ihm einen Kuss. »Das machen wir.«
»Nadine, ich muss los.« Joella kommt mit der Jacke überm Arm auf sie zu. »Es war ein schöner Abend, vielen Dank.« Sie zieht Nadine beiseite und fügt leise hinzu: »Können wir uns diese Woche mal treffen?«
»Klar. Ist irgendwas?«
Joella zuckt mit den Schultern. »Vielleicht. Ich weiß nicht so recht. Ich mache mir Gedanken über etwas, das sich heute Abend ergeben hat. Aber lass uns ein andermal darüber reden.«
»Ruf mich an, dann machen wir was aus.«
Joella nickt und verabschiedet sich.
22
Mit vereinten Kräften haben Nadine und Eelco am nächsten Morgen rasch Ordnung geschaffen. Als auch Marielle aufgestanden ist und verspricht, die Gartenmöbel wegzuräumen und staubzusaugen, brechen sie auf.
Sie mieten ein Boot und schippern stundenlang über die Kanäle um Leiden. Am späten Nachmittag legen sie an einem der vielen Terrassencafés an, und den Abend verbringen sie zu dritt in Nadines Garten.
Ganz beschwingt von dem gelungenen Wochenende fährt Nadine am Montagmorgen zur Arbeit. Eelco hat noch einmal bei ihr übernachtet, musste aber in aller Frühe los, um rechtzeitig in Amsterdam zu sein, sodass ein gemütliches Frühstück nicht mehr drin war. Die bevorstehende Arbeitswoche erscheint Nadine auf einmal sehr lang.
Kaum hat sie ihr Rad abgestellt, kommen bereits einige Kollegen auf sie zu, die rauchend im Freien gestanden haben.
»Hast du gehört? Schon wieder ein Mord!« In
Marijkes Tonfall schwingt Entsetzen mit, aber auch Sensationslust.
»Wie bitte?«
»Gestern Nacht.« Arnout hat eine tiefe Falte zwischen den Brauen und zieht an seiner Zigarette. »Man hat die Frau heute Morgen gefunden. Es gab eine Riesenaufregung, die angrenzenden Straßen wurden abgesperrt, und die Polizei hat sämtliche Anwohner befragt.«
»In deiner Gegend?«, fragt Nadine.
»Nein, in der Brucknerstraat. Dort wohnt ein Freund von mir. Er hat mich um sechs Uhr früh angerufen, und ich bin natürlich sofort hingefahren.« Arnout zeigt auf seine umgehängte Kameratasche. »Die Leute von der Spurensicherung waren gerade da und hatten über der Leiche eine Art Zelt aufgestellt,
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