Kalte Freundschaft
mir nicht so sicher. Ich habe deutlich gemerkt, dass sie Zweifel haben und mir nicht trauen. Ob ich mich unter solchen Umständen freuen soll, auf freien Fuß gesetzt zu werden … ich weiß nicht recht.« In Toms Stimme schwingt Bitterkeit mit. »Sie haben mich nach wie vor im Verdacht, so viel steht fest.«
»Sie müssen nun mal misstrauisch sein, das gehört zu ihrem Beruf. Hauptsache, sie haben dich gehen lassen.« Nadine zieht Tom in den Flur.
Im Wohnzimmer setzt er sich auf die Sofakante. »Sie haben einen Wangenabstrich gemacht«, erzählt er. »Der wird jetzt analysiert, in ein paar Tagen liegt das Ergebnis vor.«
»Du hast Joella nicht umgebracht, also hast du auch nichts zu befürchten.«
»Ich weiß nicht. Mit Sicherheit finden sie meine DNA bei ihr, schließlich hatten wir uns untergehakt.«
Nadine setzt sich Tom gegenüber in einen Sessel und versucht, ihn zu beruhigen. »Das ist der Polizei bestimmt klar. Viel wichtiger ist doch der Ort, an dem die Leiche entdeckt wurde. Und dort finden sie garantiert keine DNA-Spuren von dir.«
»Das nicht.«
»Hör mal, Tom, die Polizei hat dich nicht einfach so gehen lassen! Eine DNA-Probe ist noch lange kein Beweis. Für einen Mord braucht es auch ein Motiv, und du hast keins.«
Eine Weile bleibt es still.
»Da ist noch etwas …« Tom knackt nervös mit den Fingerknöcheln. »Sie werden die DNA, die bei Joella gefunden wurde, mit den Spuren vergleichen, die der Mörder bei Melissa hinterlassen hat. Und ich habe Melissa gekannt, Nadine. Nicht gut, aber immerhin. Sie ist eine ehemalige Schülerin von mir. Ich habe sie an dem Abend, als sie umkam, in der Stadt getroffen. Wir haben miteinander geredet und uns mit einem Kuss verabschiedet. Nichts Intimes, nur ein Wangenkuss … und ein paar Stunden später war sie tot. Was, wenn sie meine DNA bei ihr finden?«
»Ich wusste gar nicht, dass du Melissa gekannt hast. Warum hast du das nie erwähnt?«
»Es hat sich nicht ergeben, und vielleicht hatte ich auch Angst. Du weißt ja: Wo Rauch ist …«
»Sie hat an dem bewussten Abend doch nicht nur mit dir zu tun gehabt.«
»Schon, aber es beunruhigt mich trotzdem. Ganz bestimmt hat die Polizei DNA von mir bei Melissa gefunden. Aber solange sie die nicht zuordnen konnten … du verstehst?«
Nadine nickt zögerlich. Ja, sie versteht Tom durchaus, aber das Ganze kommt ihr doch ein wenig seltsam vor.
»Wenn du unschuldig bist, spielt das keine Rolle. Wie gesagt, sie hatte an dem Abend auch noch mit anderen Leuten zu tun. Ich finde, du hättest der Polizei sagen müssen, dass ihr euch zufällig getroffen habt.«
Tom hebt ergeben die Hände. »Du hast recht, ich hätte mich gleich melden müssen. Aber bei diesen Tests läuft auch mal was schief. Man hört immer wieder, dass Fälle neu aufgenommen werden, weil beim DNA-Test geschludert wurde. Schon deshalb verlasse ich mich nicht darauf, dass sie mich für unschuldig halten. Die Polizei sucht nach Beweisen, und wer sucht, der findet.«
Das lässt sich nicht leugnen, aber Nadine will Tom nicht noch weiter demoralisieren. »Selbstverständlich können Fehler vorkommen«, sagt sie. »Aber im Allgemeinen ist es doch so, dass der Täter verurteilt wird und unschuldige Verdächtige freikommen.«
»Im Allgemeinen ja«, sagt Tom. »Aber was ist, wenn ihnen ausgerechnet bei mir ein Fehler unterläuft?«
Nachdem die Leiche eine Woche später von der Gerichtsmedizin freigegeben wurde, findet Joellas Begräbnis statt. Unzählige Menschen haben sich eingefunden, und alle schweigen, als der weiße Sarg in die Friedhofskapelle getragen wird.
Nadine kann den Blick nicht vom Sarg abwenden. Es fällt ihr schwer, sich vorzustellen, dass wirklich Joella darin liegt, still und bleich, umhüllt von weißem Satin.
Tom sitzt neben ihr. Inzwischen muss das Ergebnis der DNA-Untersuchung vorliegen, aber er hat nichts mehr gehört. Für Nadine ein Indiz, dass die Spuren an Melissas und Joellas Leichen nicht mit Toms DNA übereinstimmen oder zumindest keinen schlüssigen Beweis darstellen. An die zweite Möglichkeit denkt sie lieber nicht und hält sie auch nicht für wahrscheinlich. Tom ist ihr Freund, und er war auch Joellas Freund. Er hatte schlichtweg keinen Grund, sie umzubringen.
Er stößt sie sachte an.
»Wo ist eigentlich Eelco?«
»Er muss arbeiten. Momentan geht es im Verlag hoch her. Er wollte zwar kommen, aber das fand ich nicht nötig. Schließlich hat er Joella kaum gekannt.«
Tom zieht eine Augenbraue hoch. »Nun
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