Kalte Freundschaft
davon hab ich ein paar Bilder gemacht. Ich hab mich vor Ort umgehört, aber niemand hatte etwas beobachtet und/oder wusste, wer das Opfer ist. Die Frau lag angeblich am Straßenrand, zwischen zwei Mülltonnen, die zum Leeren rausgestellt waren.«
»Das ist ja entsetzlich!«, sagt Nadine. »Wie ist sie umgekommen?«
»Keine Ahnung, aber vermutlich erfahre ich gleich Genaueres.«
Sekunden später klingelt Arnouts Handy. Er holt es aus der Jackentasche, wirft einen raschen Blick aufs Display und entfernt sich ein paar Schritte.
Als Nadine auf die Eingangstür zugeht, klingelt auch ihr Handy.
»Ich bin’s … Tom …«
Seine Stimme klingt so zittrig, dass Nadine unwillkürlich eine Gänsehaut bekommt.
»Was gibt’s?« Sie merkt, dass sie höher spricht als sonst, fast schon schrill, so als erwartete sie eine Hiobsbotschaft.
»Es geht um Joella.«
Eine bleierne Stille tritt ein.
»Was ist mit Joella?«, drängt Nadine. »Jetzt sag schon!«
»Weißt du es noch nicht? Du arbeitest doch bei der Zeitung und hast bestimmt gehört, dass wieder jemand umgebracht wurde.«
»Ja …«
Nadine hört nur Toms unregelmäßige Atemzüge.
»Nein!«, flüstert sie. »Das kann nicht wahr sein! Ist Joella die Tote, die man heute Morgen in der Brucknerstraat gefunden hat?«
Tom schluchzt auf.
»Bist du ganz sicher? Irrst du dich auch nicht?«, fragt Nadine wider besseres Wissen.
»Ich irre mich nicht. Man weiß inzwischen, wer das Opfer ist. Joella hatte ihren Führerschein dabei. Jemand hat sie niedergeschlagen und danach erwürgt. Die ganze Stadt redet schon davon. Und es ist alles meine Schuld, Nadine!«
»Deine Schuld? Wieso denn das?«
»Wir waren gestern Abend zusammen aus, und Joella ist auf dem Nachhauseweg überfallen worden. Sie wollte den Bus nehmen, obwohl ich noch angeboten
hatte, sie nach Hause zu fahren. Aber sie meinte, das sei nicht nötig, sie könne an der Brucknerstraat aussteigen, von dort seien es nur noch ein paar Schritte.«
»Oh nein …«
»Wenn ich darauf bestanden hätte, sie nach Hause zu fahren, wäre das nicht passiert. Verstehst du? Deshalb bin ich schuld, ich hätte es verhindern können und …«
»Ganz ruhig, Tom. Wo bist du jetzt?«
»Zu Hause. Ich bin völlig außer mir, weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen soll! Garantiert wird die Polizei mich verdächtigen, schließlich haben Bekannte uns zusammen gesehen.«
»Am besten gehst du sofort zur Polizei und machst deine Aussage«, rät Nadine.
»Auf keinen Fall! Die nehmen mir eine DNA-Probe ab und dann …«
»Beruhige dich, du hast ja nichts zu verbergen.«
Sie hört, dass es bei Tom klingelt, gleich darauf sagt er, ganz gefasst: »Die stehen schon vor der Tür. Ich muss auflegen.«
Mit einem Mal wird Nadine von einem überwältigenden Schwindelgefühl erfasst. Gleich wird sie umkippen, ist jedoch außerstande, etwas dagegen zu tun. Als ihr schwarz vor Augen wird, spürt sie plötzlich einen starken Arm um die Schultern.
»Alles in Ordnung?«, erklingt Arnouts besorgte Stimme neben ihr. »Ist dir schlecht?«
»Ja, aber es geht schon wieder«, murmelt sie.
»Den Eindruck hab ich ganz und gar nicht. Komm mit, da drüben steht mein Auto.«
Nachdem Arnout ihr auf den Beifahrersitz geholfen hat, steigt er an der Fahrerseite ein und öffnet das Dach ein Stück, um frische Luft hereinzulassen. Jetzt, wo Nadine sitzt, weicht der Schwindel einem heftigen Weinkrampf. Sie schlägt die Hände vors Gesicht und schluchzt hemmungslos.
Arnout legt ihr tröstend die Hand auf die Schulter und wartet geduldig, bis sie sich einigermaßen beruhigt hat.
»Entschuldige bitte«, bringt sie mühsam hervor.
»Eine schlechte Nachricht?«
»Ja …« Sie blinzelt die Tränen weg. »Du hast doch beim Gartenfest am Samstag Joella kennengelernt, eine Freundin aus der Schreibgruppe. Das heißt, eine richtige Freundin ist sie nicht, eher eine gute Bekannte.« Sie wischt sich die Augen und sagt mit erstickter Stimme: »Sie ist … tot, Arnout. Die ermordete Frau, von der wir vorhin gesprochen haben, ist Joella.«
Wieder bricht sie in Tränen aus. Diesmal nimmt Arnout sie fest in die Arme.
23
Die Kollegen sind rührend um sie besorgt. Nadine wird ins Büro geführt, auf einen Stuhl bugsiert, und Marijke drückt ihr ein Glas Wasser in die Hand.
Arnout meint, in diesem Zustand könne sie unmöglich arbeiten, und bietet an, sie nach Hause zu bringen, aber Nadine wehrt ab.
»Es war nur der erste Schock«, erklärt sie. »Jetzt geht es
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