Kalte Freundschaft
Haut zu fühlen, aber als noch eine weitere Bekannte - Joella - dazukommt, taut er langsam auf, und die drei unterhalten sich angeregt.
Leicht irritiert sieht Nadine ihnen hinterher. Ihr Blick wandert zu Marielle, die vom Rand der Terrasse aus eifrig filmt. Sie hat Ruben erspäht und nickt ihm zu - freundlich, aber distanziert.
Nadine geht in die Küche, schenkt sich ein Glas Wein ein und trinkt mit hastigen Schlucken.
»Vorsicht, das ist keine Limo.« Eelco steht plötzlich neben ihr.
»Ich weiß, aber mir war gerade so danach. Marielle hat nämlich Besuch bekommen.« Nadine weist mit dem Kinn auf Ruben.
»Aha. Das ist also ihr Lehrer. Bist du sauer, weil er gekommen ist?«
»Begeistert bin ich nicht gerade, aber sei’s drum.«
Mehrere Kollegen von der Zeitung kommen durchs Gartentor. Schon von Weitem hört Nadine Arnouts Stimme: »Wo steckt unsere künftige Berühmtheit? Ich will sie küssen!«
Als sie die Neuankömmlinge begrüßt und zum Büfett geführt hat, sieht sie, wie Marielle und Ruben miteinander reden. Ein paar Worte nur, denn Marielle dreht sich gleich darauf zu ihrer Großmutter um.
Ruben kommt auf Nadine zu. »Marielle hat mir gerade erzählt, dass Ihr Buch erscheinen wird. Herzlichen Glückwunsch!«
»Danke. Ich freue mich sehr, dass es endlich so weit ist. Deshalb auch das Fest.«
»Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Wann kommt das Buch denn heraus?«
Ganz entspannt ist ihre Unterhaltung nicht, doch nach einer Weile wird Nadine lockerer.
Später trägt sie eine Schüssel Salat ins Freie, und Joella gesellt sich zu ihr.
»Ruben ist also Marielles Lehrer«, sagt sie. »So ein Zufall.«
»Du scheinst ihn zu kennen.«
»Ja, aus dem ›Oloroso‹. Leoni ist auch oft dort. Guck nur, wie sie ihn anhimmelt. Ich glaube fast, sie ist in ihn verliebt.«
Etwas an ihrem Tonfall lässt Nadine aufhorchen. »Du etwa auch?«
»Ich kenne Ruben nur flüchtig«, sagt Joella. »Und irgendwie traue ich dem Burschen nicht.«
Irgendwann erfuhr ich, dass meine Mutter wieder ganz in die Niederlande ziehen wollte. Mich kümmerte das wenig, denn inzwischen war ich einundzwanzig, studierte in Amsterdam und hatte mein Leben voll im Griff. Ich hatte mich an ein Leben ohne sie gewöhnt, und so sollte es auch bleiben.
Mein Vater war zwei Jahre zuvor an einem Herzinfarkt gestorben. Ich hatte mich ans Alleinsein gewöhnt, genoss es sogar. In Beziehungen und Freundschaften wahrte ich stets Distanz, ließ niemanden näher an mich heran.
Zu meiner Bestürzung geriet all das ins Wanken, als meine Mutter wieder da war. Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich ins Amstel Hotel ging, wo sie fürs Erste abgestiegen war. Wir hatten uns unter vier Augen treffen wollen, aber sie war nicht allein gekommen.
Wir saßen uns an einem Tisch in der Lobby gegenüber, und ich erfuhr, dass sie schon seit Jahren mit Jack verheiratet war, der gerade mit dem gemeinsamen Sohn die Stadt erkundete.
David hieß der Junge. Ihr Blick wurde weich, als sie ein Foto aus der Handtasche zog und es mir reichte.
Ich betrachtete das Bild meines Halbbruders, des Kindes, das sie nicht verlassen hatte, dem all ihre Liebe und Fürsorge galt. Er war neun, genauso alt wie ich, als meine Mutter weggegangen war. Und mit einem Mal kam alles wieder hoch - der Kummer, die Verzweiflung, die vergeblichen Hoffnungen. Ihr blieb das jedoch verborgen.
Wir plauderten wie alte Bekannte, die sich eine Zeit lang aus den Augen verloren hatten, und verabschiedeten uns dann mit einer Umarmung.
Es war ein Abschied für immer. Meine Mutter ging kurz auf ihr Zimmer, verließ aber bald das Hotel, um sich mit Mann und Sohn zu treffen. Sie hatten sich in der Innenstadt verabredet, und ich hatte ihr noch den kürzesten Weg erklärt.
Es gibt Situationen, in denen ich das Gefühl habe, dass sich meine Persönlichkeit aufspaltet und ein
anderer Teil die Regie übernimmt. So war es auch damals.
Ich sehe noch deutlich vor mir, wie ich in der Nähe des Hotels auf sie warte. Ich folge ihr zum U-Bahn-Eingang und sehe, wie sie die Treppe hinabgeht.
Am Bahnsteig stehen jede Menge Leute, viele nahe an der Kante, um rasch einsteigen zu können. Als Kind hat es mir immer Angst gemacht, dass meine Mutter sich beim Einfahren der Bahn so dicht an die Gleise stellt. Diese Angewohnheit hat sie noch immer, und genau darauf baue ich.
Es ist einfacher als gedacht. Ein kräftiger Schubs mit dem Ellbogen reicht. Niemand hat es gesehen, niemand schöpft Verdacht. Perfekt ist ein Mord dann,
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