Kalte Freundschaft
wieder.«
»Ich finde auch, dass du dir den Tag freinehmen solltest, Nadine«, sagt Marijke. »Es bringt nichts, wenn du den Kummer unterdrückst, immerhin war Joella deine Freundin.«
»Ich habe nicht den Eindruck, dass sie ihren Kummer unterdrückt«, bemerkt Roel sachlich. »Aber du kannst selbstverständlich nach Hause gehen, wenn dir das lieber ist, Nadine.«
»Ich bleibe. Wenn ich allein herumsitze, wird es auch nicht besser. Ihr wart so lieb zu mir, vielen Dank. Ich fühle mich schon viel besser.«
Und eine wirklich gute Freundin war Joella auch wieder nicht, überlegt sie, schämt sich jedoch sogleich dieses Gedankens.
Sie setzt sich an ihren Schreibtisch.
Dass das Schicksal bei jemandem aus ihrer unmittelbaren Umgebung so zugeschlagen hat, geht ihr trotzdem nahe. Aber war Joella wirklich ein Zufallsopfer? War sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Wenn ja, kann man tatsächlich von Schicksal sprechen. Andererseits könnte sie den Täter aber auch gekannt haben, und dann wäre ihr Tod alles andere als ein Zufall. Womöglich besteht sogar ein Zusammenhang mit dem Mord an Melissa?
Plötzlich fällt Nadine ein, dass Joella sie sprechen wollte. Jetzt wird sie nicht erfahren, worum es ging.
Am späten Vormittag klingelt ihr Handy. Sie wirft einen Blick aufs Display. Marielle.
»Mam! Stimmt es, dass Joella tot ist? Ich hab vorhin davon gehört!« Marielles Stimme überschlägt sich fast.
»Ja, leider.« Nadine spürt einen Kloß im Hals.
»In der Schule reden alle über den Mord. Ich hab mich so was von erschrocken!«
»Wo bist du jetzt?«
»Zu Hause. Wir hatten schon nach der dritten Stunde Schluss.«
»Ich komme gleich.« Nadine greift nach ihrer Tasche.
Zu Hause findet sie ihre Tochter auf dem Sofa vor. Mit angezogenen Beinen sitzt sie da, die Arme um die Knie geschlungen.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass Joella tot ist. Und dann auch noch ermordet!« Marielle sieht sie mit großen Augen an.
»Mir geht es genauso.«
»Glaubst du, es gibt da einen Zusammenhang mit dem Tod dieser Melissa? Joella und sie sind beide auf die gleiche Weise umgekommen.«
»Das könnte durchaus sein.«
»Ich geh abends nicht mehr weg! Nicht, bevor sie den Täter haben!«
Nadine setzt sich zu Marielle und legt den Arm um sie.
Dass in Leiden erneut eine junge Frau umgebracht wurde, verbreitet sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land, und das Thema beherrscht die Nachrichten.
Die Polizei hält sich zwar mit Informationen zurück, trotzdem sickert durch, dass ein gewisser Tom S. verhaftet wurde.
Nadine macht sich große Sorgen um Tom und redet am nächsten Morgen mit Arnout darüber. Er glaubt nicht, dass die Polizei etwas gegen ihn in der Hand hat, und spricht ihr Mut zu. »Sie können ihn maximal drei Tage festhalten. Wenn sich bis dann keine handfesten Beweise ergeben, müssen sie ihn laufen lassen.«
»Was denn für Beweise?«
»Belastende Zeugenaussagen oder Blutflecken an seiner Kleidung.«
»Und wenn das nicht der Fall ist?«
»Dann müssen sie ihn, wie gesagt, gehen lassen. Selbst wenn sie seine DNA-Spuren bei Joella finden. Schließlich waren die beiden zusammen aus, da wäre es eher verwunderlich, wenn man keine DNA von Tom bei ihr fände. Jeder Mensch verliert ständig Haare und Hautschuppen.«
Die Ellbogen auf Arnouts Schreibtisch gestützt, sitzt Nadine da, vor sich ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette. Joella wurde niedergeschlagen und erwürgt, Melissa ebenfalls …
»Wer jemanden erwürgt, hinterlässt doch Fingerabdrücke, oder?«, fragt sie.
»Nicht unbedingt«, meint Arnout. »Wenn ein Mensch mit bloßen Händen erwürgt wurde, lassen sich die Fingerabdrücke nur schwer nachweisen. Sie müssen sich vom Untergrund abheben, und das ist beim Erwürgen, wenn Haut auf Haut drückt, nicht der Fall.«
»Also hat die Polizei nur dann ein Indiz, wenn Toms Kleidung Spuren von Joellas Blut aufweist?«
»Ja. Wobei zu bedenken ist, dass er genug Zeit hatte, seine Sachen zu waschen. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass etwas Konkretes gegen ihn vorliegt.« Arnout zögert kurz. »Aber leider auch nichts, das für seine Unschuld spricht«, fügt er hinzu.
24
Als Nadine am Abend die Fernsehnachrichten sieht, klingelt es. Sie eilt zur Haustür.
Mit hängenden Schultern, die Hände in den Taschen vergraben, steht Tom vor ihr.
»Die Polizei hat mich gehen lassen.« Es klingt nicht gerade so, als wäre er erleichtert.
»Ein Glück, das ist doch gut!«
»Da bin ich
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