Kalte Freundschaft
einem Glas Wasser hinunter.
An die Arbeitsplatte gelehnt, lässt sie den Blick schweifen. Über die Gewürzdosen aus Edelstahl, die dekorativen Flaschen mit Balsamico und Olivenöl, die Espressomaschine aus dem Italienurlaub und den Messerblock von Jamie Oliver, den sie voriges
Jahr von ihren Eltern zum Geburtstag bekommen hat …
Am Messerblock bleibt ihr Blick hängen. Bei der Vorstellung, dass Eelco mit so einem Messer erstochen wurde, wird ihr übel.
41
Nadine steht unter der Dusche, lässt den warmen Wasserstrahl auf ihre Schultern prasseln und versucht, die Realität für ein paar Minuten auszublenden.
Sie kann das alles immer noch nicht fassen. Sie kommt sich vor wie in einem Paralleluniversum. Schließlich lässt sie ihren Tränen freien Lauf.
Dann stellt sie die Dusche aus, trocknet sich ab und zieht Jeans, einen hellblauen Pulli und braune Stiefeletten an - ihr Lieblingsoutfit. Nicht dass es darauf ankäme, aber es gibt ihr Selbstvertrauen und das Gefühl, sich dem, was nun auf sie zukommt, besser stellen zu können.
Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hat, wird sie ein wenig ruhiger.
Was muss sie mitnehmen? Handtasche, Portemonnaie, ihr Handy und das von Marielle - das war’s wohl.
Hastig bindet sie ihr noch feuchtes Haar zu einem Pferdeschwanz, nimmt die Autoschlüssel und verlässt das Haus.
Als sie vor dem Auto steht, meldet ihr Handy den Empfang einer SMS.
Hi Nadine, bist du schon wach? Wie war’s beim Bücherball? LG Sigrid.
Ein rascher Blick auf die Armbanduhr. Sie hat noch Zeit. Schnell wählt sie Sigrids Nummer.
Schon nach dem zweiten Klingeln meldet sich die Freundin: »Wie, du bist schon auf? Ich dachte, du schläfst deinen Rausch aus.«
»Von wegen. Du hast anscheinend noch nicht gehört, was passiert ist. Bei mir hat in aller Frühe die Kripo angerufen. Eelco ist heute Nacht auf dem Bücherball niedergestochen worden.«
»Was?!«, ruft Sigrid entsetzt. »Wie geht es ihm?«
»Er ist tot.« Wieder muss sie hemmungslos schluchzen. »Aber das ist noch längst nicht alles, Marielle ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen. Ich hab keine Ahnung, wo sie sein könnte.« In ihrer Stimme schwingt Panik mit.
Sigrid redet ihr gut zu: »Nun reg dich nicht auf, Nadine. Bestimmt ist sie mit irgendwelchen Freunden um die Häuser gezogen und hat bei denen übernachtet.«
»Marielle ist nicht so!«
»Deine Tochter ist immerhin sechzehn. Und hast du in letzter Zeit nicht öfter geklagt, sie sei so verändert und du wüsstest kaum mehr, was sie treibt?«
Nadine seufzt tief. »Schon, aber so was …«
»Mach dich nicht verrückt. Das Mädchen hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt und ordentlich einen draufgemacht. Jetzt schläft sie wie ein Murmeltier, wahrscheinlich bei einem Kerl, den du
überhaupt nicht kennst. Und heute Mittag kommt sie putzmunter nach Hause und macht auf harmlos.«
Ruben! Sie wird doch nicht etwa bei Ruben sein!?
Rasch beendet Nadine das Gespräch und wählt Rubens Nummer. Sie erreicht nur den Anrufbeantworter und hinterlässt eine Nachricht. Dann fährt sie zum Polizeirevier.
Ein Tisch, zwei Stühle und eine Videokamera. Das Verhörzimmer an der Langegracht ist spärlich eingerichtet. Es riecht muffig, als wäre der Schweiß von Polizisten und Verdächtigen über Jahre hinweg in die Wände gezogen. Ein Fenster, das man öffnen könnte, um hin und wieder frische Luft einzulassen, gibt es nicht.
Unbehaglich sieht Nadine sich um; ihr Blick bleibt an der Kamera hängen.
»Nehmen Sie unser Gespräch auf?«
Kommissar Immink schüttelt den Kopf. Er ist breitschultrig, hat ein kantiges Gesicht und streichholzkurzes graues Haar. Vor ihm steht ein Computer, den er nun hochfährt. »Nein, ich gebe Ihre Antworten in den PC ein.«
»Ich dachte immer, Verhöre würden aufgezeichnet werden.«
»Sie werden nicht verhört, Frau van Mourik, sondern lediglich befragt, genau wie die anderen Gäste, die auf dem Bücherball waren. Weil es um die vierhundert Personen sind, wurde eine große Sonderkommission
aus rund dreißig Beamten gebildet. Wir wollen den Mord möglichst rasch aufklären.«
Das Wort »Mord« lässt Nadine schaudern.
»Ich kann es noch immer nicht glauben«, sagt sie. »Ich meine, wir waren auf dem Bücherball, auf einem Fest! Und dort habe ich Eelco noch gesprochen!« Als könnte diese Tatsache ausschließen, dass er tot ist.
Immink bringt sich vor dem PC in Position. »Kannten Sie Herrn van Ravensberg gut?«
»Wir hatten eine Beziehung.«
»Hatten?
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