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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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enden wollendes Wimmern überging.
    Irgendwann hatte sie das Gefühl, leer und verbraucht zu sein, keine Tränen mehr zu haben. Plötzlich bemerkte sie den Beamten, der neben ihr auf der Matratze saß. Wie lange schon? Habe ich geschlafen? Tania konnte sich an nichts erinnern, auch an keinen Traum. Nur an Hagen am Frühstückstisch, Hagen im Bett, Hagen beim Schreiben, in der Morena mit einem Putenburger und Pommes, Hagen in Sorge, Hagen war tot … Gedanken und Bilder brachen über sie herein, denen sie hatte entfliehen wollen, denen sie aber nicht entkommen konnte. Ihre Bluse, das Kissen und das Laken waren nass von den Tränen, die sie vergossen hatte, allein, einsam, verlassen in diesem gottverdammten Zimmer irgendwo in Berlin.
    »Trinken Sie!« Der Polizist reichte ihr ein Glas Wasser.
    Tanias Mund war trocken. Sie hob das Glas an die spröden Lippen. Wenn sie etwas trank, würde sie vielleicht wieder weinen können.
    Der Fernseher lief noch immer. Irgendjemand hatte ihn auf MTV umgestellt.
    »Soll ich ihn ausschalten?«, fragte der Beamte.
    Tania reagierte nicht. Was interessiert mich der Fernseher?
    Der Polizist machte das TV-Gerät aus und zog die Jalousie hoch. Dann kippte er das Fenster, damit etwas frische Luft in das Zimmer kam.
    Als er nach nebenan verschwunden war, schaute Tania zur Straße hinunter. Sie war viel befahren, Reihenhäuser drängten sich auf beiden Seiten aneinander. Sie kannte die Gegend nicht. War das überhaupt noch Berlin? Was spielt das für eine Rolle?
    Ihr Blick fiel in den Spiegel, der neben dem Nachttischchen an der Wand hing. Sie sah fürchterlich aus. Aber wen kümmert das noch?
    Sie schnappte sich eine der Zeitungen, die einige Wochen alt war. Sie blätterte durch die Seiten, ohne etwas zu lesen.
    Plötzlich klopfte es, und eine vertraute Stimme fragte: »Tania?«

110
    Das FBI? Was hatte dieser Anruf zu bedeuten? Sie kratzte die paar Brocken Englisch zusammen, die sie noch aus Schulzeiten beherrschte. »Hello, this is Sera Muth!«
    »William K. King. Special Agent des FBI in Washington«, meldete sich eine dunkle, sonore Stimme, die nicht nur Eindruck hinterließ, sondern auch überraschte, weil ihr Besitzer zwar mit schwerem Ostküstenakzent, aber dennoch verständlich deutsch sprach. »Ich wollte eigentlich mit Dr. Babicz reden. Er bat um Rückruf.«
    »Dr. Babicz ist leider nicht hier.«
    »Ich weiß, ich habe schon versucht, ihn zu Hause anzurufen. Aber dort ich habe ihn auch nicht erreicht. Er sagte, wenn ich ihn nicht erreichen kann, ich soll versuchen, Frau Muth zu sprechen.«
    »Das haben Sie geschafft.«
    »Wunderbar, ich freue mich, einen deutschen Polizisten zu sprechen. Wissen Sie, ich war einige Jahre Agent in Europa. Auch in Deutschland. Deshalb spreche ich Deutsch.«
    »Aha. Verstehe.«
    »Ich rufe an, weil Dr. Babicz mich angerufen hat. Er wollte vom Knochenmann wissen. Sie haben davon gehört? Dr. Babicz hat bei der Aufklärung des Falls geholfen … Ursprünglich! Sagt man das bei Ihnen so?«
    Sera war sich nicht ganz sicher, was genau der FBI-Mann meinte, deshalb beließ sie es bei: »Dr. Babicz erzählte davon.«
    »Sie wissen, warum sein Name ist … Bonekiller. Der Knochenmann?« King wartete die Antwort nicht ab. »Es ist ein seltsamer Name, aber nicht, wenn man weiß, was er getan hat. Er hat seine Opfer … äh, gehäutet.«
    Das weiß ich, sehr gut sogar. Es knisterte unheilvoll in der Leitung, weil auch der FBI-Agent schwieg.
    »Aber Sie haben ihn geschnappt«, erinnerte Sera.
    »Ich sagte schon: ursprünglich!«
    Sera runzelte die Stirn. »Offen gestanden ist mir nicht ganz klar, was Sie damit meinen – ursprünglich?«
    »Was ich sagen will: Es gibt Zweifel an der Täterschaft der gefassten Person – seit gestern. Deshalb bin ich etwas überrascht, dass mich Dr. Babicz gestern versucht hat zu erreichen.«
    »Es gibt Zweifel?«
    »Wir mussten Andrew Jacobs wieder laufen lassen.«
    Was redet er da? »Der Mörder ist wieder auf freiem Fuß?«
    »Ja, der Mörder, also, der wahre Mörder scheint noch immer auf freiem Fuß zu sein. Verstehen Sie, wir haben mit Andrew Jacobs wahrscheinlich den falschen Mann erwischt. Es gibt …«
    »Guten Morgen!« Sichtlich übernächtigt betrat Dr. Bodde das Vorzimmer. »Ich weiß nicht, ob ich …!«
    Gesing gab ihr ein Handzeichen. Die Kriminaltechnikerin verstummte.
    King redete weiter. »… plötzlich einige Ungereimtheiten. Es scheint, als habe sich Dr. Babicz geirrt.«
    Das wäre nicht das erste Mal.

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