Kalte Haut
Gedanken schlief Robert wieder ein.
Um halb sieben rasselte das Telefon. Robert war sofort hellwach. Auf dem Weg in die Praxis sprang er in seine Jeans und geriet ins Stolpern. Trotzdem war er am Hörer, bevor der Anrufbeantworter ansprang.
»Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe«, meldete sich die Kommissarin, die, dem Rauschen im Hintergrund nach zu urteilen, in einem Auto saß. Sie klang aufgeregt.
Auch wenn Robert es nicht wahrhaben wollte, wusste er den Grund. Trotzdem traf ihn die Nachricht wie ein Schlag.
»Ein Video ist aufgetaucht. Diesmal bei RTL .« Muth erzählte ihm, was sie bisher herausgefunden hatte.
Robert unterdrückte den aufkommenden Würgereiz, versuchte seine Gedanken zu sammeln. »Der Täter weicht schon wieder von seinem Schema ab.«
»Ja, und normalerweise hätten wir längst die Leiche finden müssen. Was, glauben Sie, ist der Grund dafür?«
»Wie ich gestern schon sagte: Der Täter steht unter Druck. Wahrscheinlich macht er Fehler.«
Muths Stimme war plötzlich nur noch gedämpft zu hören, offenbar hielt sie die Hand über ihr Telefon. Sie wechselte einige unverständliche Worte mit einer zweiten Person, vermutlich einem ihrer Kollegen, dann war ihre Stimme wieder klar, wurde nur begleitet von Fahrtgeräuschen. »Es gibt sogar einen Zeugen der Entführung. Ich befinde mich gerade auf dem Weg zum Präsidium, wo sich mein Kollege Blundermann um eine Phantomzeichnung bemüht.«
»Das Gespräch mit Frau Herzberg soll ich trotzdem führen?«
»Selbstverständlich. Der Wagen, der Sie zu ihr fahren wird, trifft gleich bei Ihnen ein.«
Sie vereinbarten, sich anschließend auf dem Präsidium zu treffen – vorausgesetzt, es gäbe bis dahin keine neue Entwicklung.
Aus dem Wohnzimmer erklang das Geräusch des Fernsehers. Nadine hatte das Gerät eingeschaltet. Mit der Decke, die sie um ihren nackten Körper geschlungen hatte, saß sie auf der Couch. Robert selbst warf nur einen raschen Blick auf das Video. Es zeigte die bekannten, grausamen Bilder.
Er flüchtete unter die Dusche. Als er angezogen in die Küche kam, hatte Nadine den Tisch gedeckt. Während er den Kaffee trank, war ihm, als hätte er sich beim Duschen nicht nur vom Schweiß der letzten Nacht befreit, auch die gestrigen Ereignisse, die der letzten Tage und sogar die der ganzen verdammten vier Jahre waren plötzlich weit weg. Sie waren zwar geschehen, das wusste er, aber er konnte endlich akzeptieren, dass sich nichts mehr daran ändern ließ. Unsere Eltern würden wollen, dass du endlich wieder lebst.
Es klingelte. Das musste der Wagen sein, der ihn zu Tania bringen würde. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit tauchte ihr Name in seinen Gedanken auf, ohne seinen Magen in Aufruhr zu versetzen.
Er beugte sich zu Nadine und küsste sie. »Sehen wir uns wieder?«
»Unbedingt!«
Ihre Lippen fanden sich ein zweites Mal.
108
»Der Zeuge hat sich vor einer halben Stunde bei uns gemeldet«, sagte Rita, während sie mit feierlicher Miene einen Kuchen auf ihrem Schreibtisch anschnitt.
Trotz der frühen Morgenstunde herrschte in den Räumen des Kriminaldezernats Berlin-Mitte Hochbetrieb. Das Video lief in einer Endlosschleife auf dem Fernseher des Konferenzraums. Drittes Foltervideo! +++ Dritter Mord? Inzwischen war der Live-Ticker am unteren Bildschirm um weitere Meldungen ergänzt worden: Polizei tappt im Dunkeln. +++ SOKO erwartet Anruf des Killers.
Wie wohl die Schlagzeilen auf Dr. Salm wirken mochten? Ein Wunder, dass er noch nicht durch die Gänge der Mordkommission tobte. Aber vielleicht dämpfte der unverhoffte Zeuge ja wenigstens etwas seine schlechte Laune.
»Es ist ein Nachbar«, erklärte die Sekretärin. »Er sagt, er habe gestern Abend, als er das Haus verließ, eine Auseinandersetzung in der Wohnung von Frau Herzberg mitbekommen. Als er auf der Straße gerade in sein Auto steigen wollte, kam ein fremder Mann aus der Haustür.«
»Aber wie kommt er darauf, dass sich dieser Mann ausgerechnet in Frau Herzbergs Wohnung aufgehalten haben soll?«, zweifelte Gesing.
»Der Mann hatte Blut an der Hose.«
»Und dann meldet er sich erst jetzt bei uns?«
»Er ist gestern Abend zur Arbeit gefahren – Nachtschicht bei Siemens. Er hat erst von der Entführung bei seiner Nachbarin erfahren, als er heute Morgen nach Hause kam.«
»Und wo steckt er?«
»David ist mit ihm bei den Zeichnern. Sie erstellen mithilfe seiner Beschreibungen ein Phantombild.«
»Hoffentlich ein besseres als das von gestern.«
»David ist
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