Kalte Haut
und sein Haus gleich mit dazu.«
»Kümmerst du dich darum?«
»Und was machst du?«
»Hast du das etwa vergessen?« Sera tippte eine Textnachricht in ihr iPhone. Komme nachher zu dir. S. »Heute ist mein freier Tag.«
»Wohl eher: war dein freier Tag.«
»Du mich auch.« Sie drückte auf Senden.
Zwanzig Minuten später setzte Gesing sie vor ihrer Haustür ab. Diesmal waren sie zügiger durch den Verkehr gekommen. Sera wartete, bis die roten Rücklichter des Passats verschwunden waren, dann überquerte sie die Straße zu einem Golf der zweiten Generation, dessen Grünmetallic im Licht der Straßenlaterne fast magisch glänzte. Sie hatte ihn sich im Anschluss an ihr Studium vom ersten Gehalt gekauft. Damals war sie stolz gewesen – der Wagen war ein Symbol für ihr Leben, das sie fortan aus eigener Kraft steuern würde. Doch damals hatten auch die Probleme begonnen.
Ben senin Mergim amcani taniyorum , hatte Sehmus Gökcan gerufen. Ich kenne Mergim, deinen Onkel! Er würde sich für dich schämen.
Sera startete den Golf.
16
»Hast du mir aufgelauert?« Mit einer Mischung aus Entsetzen und Abscheu starrte Tania ihren Ehemann an.
Ralf lächelte. »Nur auf dich gewartet.«
»Warum?« Sie rieb sich die Schulter, obwohl sie den Schmerz vor Zorn kaum spürte. »Um mir wehzutun?«
»Jetzt weißt du immerhin, wie ich mich fühle!«
»Du spinnst doch!« Tania überprüfte das Handy, dessen Display schwarz war. Sie drückte den Akku, der beim Aufprall verrutscht war, zurück in die Fassung, stopfte sich das Telefon in die Handtasche und ging weiter zur Straßenbahnhaltestelle.
Ralf hielt sie am Ärmel zurück. »Hast du gerade mit deinem Chef telefoniert?«
»Lass mich los!«
»Du lässt dich von ihm ficken, oder?« Seine Finger krampften sich wie ein Schraubstock um ihren Arm.
»Du tust mir schon wieder weh!«
Die Köpfe der umstehenden Passanten fuhren neugierig herum. Ein Ehedrama auf offener Straße. Gratis zum Feierabend. Tanias Schmerz im verspannten Nacken entflammte von Neuem und wanderte wie ein spitzes Messer hinauf in ihren Kopf. Eine Straßenbahn ratterte heran.
Als Ralf ihrem Blick folgte, schien er langsam zur Besinnung zu kommen. Sein zorniges Gesicht entspannte sich, seine Hand löste sich von ihrem Arm, und seine Stimme bekam einen sorgenvollen Klang. »Tania, was ist mit dir? Hast du Angst?«
Ich werde nicht zulassen, dass du … Tania schüttelte den Kopf. Zeig ihm nicht deine Angst. Zugleich kamen ihr Sackowitz’ Worte in den Sinn. Ein Mann hat seine Ehefrau niedergestochen, weil sie ihm abgehauen ist. Es fiel ihr immer schwerer, ihre Furcht zu verbergen.
»Das brauchst du nicht.« Ralfs Schultern sackten nach unten. »Ich liebe dich doch. Ich könnte dir niemals … etwas antun.«
»Aber du hast mir gerade wehgetan. Zwei Mal sogar.«
»Das war … das wollte ich nicht. Ich wollte doch nur … mit dir … für dich … damit wir beide …« Tränen schossen ihm in die Augen.
Sein plötzliches Gejammer entfachte Tanias Wut. Besser als Angst! »Wir beide werden gar nichts mehr! Nie mehr! Geht das nicht in deinen Schädel rein? Gar – nichts – mehr!«
»Aber du«, er schüttelte so heftig den Kopf, dass er wankte, »du …«
»Lass mich endlich in Ruhe!«
»Aber du liebst mich doch!« Er sah sie wehleidig an.
Es war hoffnungslos. Er kapierte es nicht. Er würde es nie kapieren. Was soll ich bloß tun? Tania hastete zur Haltestelle, an der die Straßenbahn gerade stoppte. Menschen strömten heraus, andere drängelten hinein. Tania ließ sich mittreiben. Das alltägliche Chaos hatte auch seine Vorteile – in der Menge fühlte sie sich sicher.
Die Tür schloss sich hinter ihr. Erst als die Bahn anfuhr, wagte Tania zurückzusehen. Von Ralf keine Spur mehr. Als wäre er niemals da gewesen. Wenn es doch nur so wäre.
17
Robert kehrte bei einem kleinen, gemütlichen Italiener unweit der Friedrichstraße ein. Bis auf einen beengten Platz am Kamin waren alle Tische besetzt. Er quetschte sich in die Nische und genoss das knisternde Feuer. Die Wärme verstärkte seine Müdigkeit so wie die Fahrstuhlmusik, die aus Lautsprechern rieselte, die in den Blumentöpfen raumhoher Bambuspalmen versenkt waren.
Als der Kellner die Speisekarte brachte, beschloss Robert, nur einen gemischten Salat zu bestellen. Danach verschwinde ich ins Bett. Die Vorstellung, für ungewisse Zeit auf ein Abendmenü zu warten, behagte ihm nicht. Doch mitten in der Nacht mit knurrendem Magen zu erwachen
Weitere Kostenlose Bücher