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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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war auch nicht gerade verlockend. Also änderte er seine Meinung und bestellte Garnelen im Kartoffelmantel als Entrée, als Hauptspeise Saltimbocca alla romana und zum Dessert Tiramisu mit hausgemachtem Mandeleis und Sauerkirschen. Dazu wählte er eine Karaffe Cabernet Sauvignon.
    In den USA war ihm nur selten die Gelegenheit zu einem ausgedehnten Abendessen vergönnt gewesen. Nicht, weil er dafür keine Zeit gehabt hätte, die Staaten verfügten einfach über keine erwähnenswerte Esskultur, wenn man von den Ballungszentren einmal absah. Die meisten Orte schienen aus breiten Durchfahrtsstraßen zu bestehen, an denen sich eine Fastfood-Klitsche an die nächste reihte.
    Hatte Robert doch mal irgendwo ein Restaurant ausfindig machen können, das mehr als nur French Fries und Burger, Chicken Wings oder Tacos offerierte, war ihm beim Betreten sofort ein Platz zugewiesen worden. Und kaum, dass man das Essen gebracht hatte, lag auch schon die Rechnung neben dem Teller – selbstredend mit fünfzehn Prozent Aufschlag für den Service. Welchen Service?
    Der Ober servierte die Garnelen. Sie schmeckten ausgezeichnet. Die Kalbsschnitzel waren etwas versalzen, aber im Vergleich zu den Rinderlappen in Amerika trotzdem noch ein Genuss. Außerdem glich die süße Nachspeise alles wieder aus. Danach fühlte Robert sich zehn Pfund schwerer, träge und erschöpft. Der Rotwein ließ seine Gedanken verschwimmen. Diese Nacht wirst du hervorragend schlafen. Schon jetzt konnte er die Augen kaum noch offen halten.
    Der Kellner brachte die Rechnung. Als Robert in seiner Jackentasche nach der Geldbörse tastete, streiften seine Finger ein Foto. Nachdem er gezahlt hatte, legte er die Aufnahme vor sich auf den Tisch. Sie stammte aus dem kaputten Bilderrahmen. Er hatte sie daraus entfernt, bevor er seinem Bruder aus der Ruine in Ruhleben gefolgt war.
    Robert betrachtete den kleinen Jungen, der sich vergeblich am Vulkaniergruß versuchte. Schön, dass du wieder hier bist.
    »Wie bitte?« Der Kellner trat an seinen Tisch.
    Hatte er laut gesprochen? Robert steckte das Bild zurück in die Tasche und stand auf. Als er vor das Restaurant trat, erwartete ihn eine fast klare Nacht. Nur wenige Wolken zogen rasch über den Himmel, Sterne glitzerten im orangefarbenen Dunst über der Stadt und verhießen für morgen einen prächtigen Frühlingstag. Passend zu deiner Stimmung!
    Die kurze Strecke bis zum Hotel würde er zu Fuß zurücklegen. Er passierte die Hochhäuser in Mitte, spazierte am Reichstagsufer entlang der Spree und reihte sich in die Touristenscharen ein, die noch einen Abendspaziergang machten. Robert ließ sich wie von einer Welle mitreißen, trieb in ihrer Mitte bis zur Friedrichstraße und darüber hinaus. Auf der anderen Straßenseite glitt das Maritim an ihm vorbei, aber für den Augenblick fühlte er sich in dem ausgelassenen Gewimmel der Passanten wohl.
    Unsere Eltern würden wollen, dass du endlich wieder lebst.
    Er schwamm durch Straßen, Gassen und Wege, Verästelungen, die kreuz und quer schier unüberschaubar in alle Himmelsrichtungen und neue Stadtteile führten, in denen man sich wie in einem Irrgarten verlaufen konnte, wenn man nicht aufpasste, welche Straße man wählte.
    Die Kräfte verließen ihn, und er sank am Bordstein auf den Rand eines Blumenkübels. Vor ihm erstreckte sich die Französische Straße, in seinem Rücken erhob sich die herrschaftliche, mit Stuck verzierte Fassade eines Altbaus. Der Anblick war ihm vertraut. Er sah zu den hell erleuchteten Zimmern in der vierten Etage hoch. Was ist mit Bo? Hast du dich bei ihr …?
    Robert hielt den Atem an, als die Silhouette einer schlanken Frau in einem Rechteck aus Licht erschien. Sie musste es sein, vorausgesetzt sie war nicht weggezogen. Robert trat auf die Haustür zu, um die Klingelschilder zu inspizieren, doch Schritte auf dem Asphalt ließen ihn zurückzucken. Warum? Wovor hast du Angst? Es waren nur Passanten, die lachend an ihm vorbeischlenderten.
    In der Wohnung oben war das Licht in diesem Moment erloschen. Roberts Armbanduhr zeigte kurz nach halb elf. Zu spät! Aber nicht nur deshalb wäre es der falsche Zeitpunkt gewesen.
    Langsam ging er zurück zum Hotel. Als er die Lobby des Maritim betrat, war er wieder hellwach. Auf seinem Zimmer entkleidete er sich, streckte sich auf dem Bett aus und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. In dieser Haltung wartete er auf den Schlaf.

18
    Als Kind hatten Sera und ihre Geschwister allerhand abwechslungsreiche

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