Kalte Haut
beschwor sie, es sich noch einmal zu überlegen, er bräuchte sie doch genauso wie sie ihn, und er würde es nicht zulassen, dass … Tania löschte die Nachrichten, dann nahm sie erstaunt den Empfänger der übrigen Mails zur Kenntnis. »Hey, Hardy, ich bekomme deine E-Mails!«
»Habe ich dir das nicht gesagt?«
»Nein, was soll das?«
»Ich habe die Jungs aus der Technik gebeten, dass sie meine Mails auf deinen Account umleiten.« Sackowitz hob demütig die Hände. »Ich kann doch nichts dafür. Mein Rechner ist kaputt. Und irgendwo muss ich meine Mails doch lesen.«
»Das könntest du auch online tun.«
»Hab ich eine Ahnung, wie das geht? Ich bin ja schon froh, endlich gelernt zu haben, wie man einen Computer einschaltet.«
»Ist das vielleicht der Grund?«
»Der Grund wofür?«
»Dafür, dass dein Rechner nicht funktioniert. Weil du den Einschaltknopf nicht gefunden hast?«
Sackowitz hob den Mittelfinger und verschwand auf die Toilette. Tania packte ihre Handtasche, doch bevor sie sich zum Fahrstuhl begab, aktivierte sie an ihrem Computer noch schnell den Bildschirmschoner.
Als sie in den Aufzug trat, konnte sie Sackowitz’ verzweifelte Stimme hören: »Hey, wie kriege ich diesen blöden Bildschirmschoner weg?«
Als kleine Rache präsentierte ihm Tania nun ihrerseits den Mittelfinger, dann glitten die Fahrstuhltüren vor ihr zusammen. Schmunzelnd fuhr sie ins Erdgeschoss, die Kabbelei mit Sackowitz hatte ihr gut getan. Auf der Straße atmete sie die frische, feuchte Abendluft ein, die sich mit dem Geruch des spanischen Restaurants Café Hermano mischte. Mit dem würzigen Duft in der Nase und dem lebendigen Rauschen des Feierabendverkehrs im Ohr fiel langsam die Anspannung von ihr ab. Sogar den Kopfschmerz spürte sie nicht mehr so stark.
Beschwingt reihte sie sich in die Schlange der Passanten ein, die an der Ampel über die Karl-Liebknecht-Straße strömte. Während sie sich auf dem Alexanderplatz an einer munteren Horde Punks mit ihren Hunden vorbeischlängelte, griff sie zum Handy.
»Tania, mein Schatz!«, säuselte es nach wenigen Freizeichen aus dem Hörer. »Schon Feierabend?«
»Gerade eben. Sehen wir uns heute?«
»Gerne. Bei dir?«
»Nein, Hagen, lieber bei dir.«
»Wieder so schlimm?« Er stöhnte. »Mensch, du musst deinem Mann endlich sagen, dass er …«
»Was meinst du, wie oft ich das schon getan habe? Er kapiert es einfach nicht.« Neben ihr rollte ein Teenager mit ratterndem Skateboard über die Pflastersteine. Tania schritt auf die Straßenbahnhaltestelle zu. »Ich habe Hunger.«
»Worauf hast du Appetit?«
»Wie wäre es mit … Autsch, verdammt!« Ein Passant war mit voller Wucht gegen ihre Schulter geprallt. Schmerz schoss siedend heiß durch ihren Körper, das Mobiltelefon entglitt ihrer Hand und krachte auf den Asphalt.
»Oh, Entschuldigung.« Der Passant hob das Handy auf.
Tania rieb sich das pochende Schultergelenk und nahm das Telefon entgegen. »Danke.«
»Kein Problem.« Ralf lächelte sie an.
15
Das Schild an dem Haus schräg gegenüber vom Hermannplatz, quasi am Rockzipfel des Kottbusser Damms, war schon von Weitem auszumachen. Kuskayasi e.V. prangte in großen gelben Lettern quer über Tür und Schaufenster.
Gesing legte den Kopf in den Nacken. »Was bedeutet das?«
»Kuskayasi ist eine Stadt am Schwarzen Meer«, erklärte Sera.
»Hm, ich hätte auf ein türkisches Gericht getippt.«
»Die meisten Teestuben sind nach den Heimatorten ihrer Besitzer benannt. Die Vereine gründen sie, um öffentliche Gelder zu kassieren.«
»Wusste ich gar nicht.«
»Deswegen sag ich’s dir ja.« Sie trat zur Eingangstür. Dichter Qualm umnebelte die Männer in dem Raum.
Die Einrichtung von Kuskayasi e. V. unterschied sich nur marginal von der anderer Teehäuser: Linoleum am Boden, Holzverkleidung an den Wänden, nicht weit von der Eingangstür stand eine provisorische Theke, auf der es aus einer Caydanlik, einer Teekanne, dampfte. Es roch nach schwarzem Tee und Zigarren. Unter der Decke, in den Rauchschwaden kaum auszumachen, hingen zwei Bildschirme, auf denen ein Fußballspiel flimmerte.
Sera hatte noch nie verstanden, was die Männer an so einem kargen Ambiente faszinierte. Wahrscheinlich, dass hier eben nur Männer anzutreffen sind.
Ihre Landsleute verteilten sich auf zwei Tische. An einem konzentrierten sich die Altvorderen auf ihr Elibir, ein Kartenspiel ähnlich dem Rommé, am anderen palaverten die Jugendlichen angeregt über Tavla, der türkischen
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