Kalte Haut
ringelten sich Maden. Robert nahm den Behälter mit ins Badezimmer, wo der Gestank schier unerträglich war. Die Zimmerdecke wölbte sich unter einem rissigen, schwarzen Schimmelfleck. Schwer zu sagen, wann es in der Wohnung darüber einen Wasserschaden gegeben hatte, aber es konnte noch nicht allzu lange her sein. Willkommen daheim!
Robert schüttete das Mehl und die Maden ins Klo und spülte. Er wollte sich gerade auf den Weg zum Vermieter machen, um den Schaden zu melden, da läutete es an der Tür. Das konnte nur Kornfeld sein. Auch gut! Dann könnte er sich die Bescherung im Badezimmer gleich anschauen.
Als Robert die Wohnungstür öffnete, huschte eine junge Frau mit klatschenden Flip-Flops durchs Treppenhaus.
»Guten Morgen!«, grinste sie.
Guten Morgen? Roberts Uhr zeigte kurz vor vier. Wissen Sie, wie spät wir es haben? »Haben Sie bei mir geklingelt?«
»Nee, wieso sollte ich?« Sie hielt ihren klirrenden Schlüsselbund hoch.
In dieser Sekunde schellte es erneut.
»Ihr Übeltäter steht noch immer unten vor der Haustür.« Die Frau verschwand winkend in der ersten Etage.
Robert zögerte. Nur wenigen Leuten war bekannt, dass er nach Berlin zurückgekehrt war, aber buchstäblich niemand wusste, dass er sich in seiner Friedrichshainer Wohnung aufhielt. Außer Max . Aber der war bei seiner Probe in der Oper.
Er nahm den Hörer von der Gegensprechanlage. »Ja, bitte?«
»Robert?«
Er erkannte die Stimme auf Anhieb, drückte den Summer. Im Treppenhaus kam ein vertrauter, kahl rasierter Schädel zum Vorschein.
»Hagen«, sagte Robert, »was für eine Überraschung!«
37
Das Reportergeschrei auf der Straße vor der Lagerhalle steigerte sich zu einem wüsten Orkan.
»Lassen Sie mich in Frieden!« Eine Stimme erhob sich laut und durchdringend über alle anderen. »Und Sie, Sie gehen mir jetzt aus dem Weg.«
»Tut mir leid, Sie bleiben draußen!« Das war Blundermann, nicht minder lautstark.
»Haben Sie eine Ahnung, wer ich bin?«
»Und selbst wenn Sie der Kaiser von China wären, Sie haben in dem Lagerhaus nichts zu suchen.«
»Ich möchte auf der Stelle den Ermittlungsleiter sprechen.«
»Frau Muth wird Ihnen auch nicht helfen können.«
»Sofort!«
Stille.
»SOFORT!«
Zehn Sekunden später tauchte Blundermann in der Lagerhalle auf. »Sera? Draußen steht der Innensenator.«
»Was hat der denn hier zu suchen?«, grummelte Gesing.
Sera knirschte mit den Zähnen. »Was er hier sucht, müsste selbst dir klar sein – mich würde aber interessieren, wer ihm Bescheid gegeben hat.«
Dr. Lothar Lahnstein wartete mit zwei Sicherheitsbeamten und einem schlaksigen, rothaarigen Begleiter, offenbar sein Berater, in der Kiesauffahrt. Hektisch strich er immer wieder seinen Anzug glatt. Sein silbernes Haar hing ihm in wirren Strähnen ins hochrote Gesicht. Sein Blick richtete sich auf Sera, hetzte dann aber voller Furcht, Verzweiflung und einem Funken Hoffnung zum Lagerhaus. »Leiten Sie die Ermittlungen?«
»Ja, Kriminalhauptkommissarin Muth.«
»Gut, Frau Muth, ich möchte …«
»Nein, Herr Dr. Lahnstein, das geht nicht. Sie wissen so gut wie ich, dass nur dem Staatsanwalt oder Ermittlungsrichter der Zutritt erlaubt ist.«
»Ja, verdammt, ich weiß. Dann machen Sie eben eine Ausnahme.«
»Ich halte das für keine gute Idee.«
Lahnsteins Augen lösten sich von dem Gebäude und trafen Seras Blick. Leise fragte er: »Also stimmt es? Sie haben meinen Sohn gefunden?«
Sera suchte einige Sekunden nach den richtigen Worten: »Ich befürchte, das haben wir, ja.«
Was immer die Nachricht in dem Politiker auslöste, er ließ es sich nicht anmerken. Er straffte seine Haltung, sogar sein silbernes Haar saß jetzt wieder einigermaßen geordnet. »Ich möchte ihn sehen!«
»Tut mir leid, aber …«
»Ich – möchte – ihn – sehen.«
Sera wechselte einen Blick mit ihren Kollegen. Beide schauten so unglücklich drein, wie sie sich fühlte.
»Hören Sie, Frau … Frau …«
»Muth!«
»Frau Muth, Sie sagten, Sie befürchten, dass es sich um meinen Sohn handelt. Aber sind Sie sich wirklich sicher? Was, wenn Sie sich täuschen?«
Der schlaksige, schmallippige Mann neben ihm nickte übertrieben hastig. »Herr Dr. Lahnstein muss ihn identifizieren.«
»Das muss er nicht«, widersprach Sera. »Wir können das über einen DNA-Abgleich erledigen.«
»Ja, verdammt, auch das ist mir bekannt!«, donnerte der Senator. »Trotzdem möchte ich es selbst übernehmen.«
Sera gab nach. Lahnstein würde
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