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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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dort … Robert stutzte. Er las die detaillierte Abschrift der Befragung, die Kriminalobermeister Blundermann vorgenommen hatte, noch einmal, dann legte er die Akte beiseite. Etwas kam ihm merkwürdig vor.
    Nachdenklich stemmte er sich von der Couch hoch. Auf dem Weg ins Bad knöpfte er sich sein Hemd auf. Als er, auf dem Rand der Wanne sitzend, sich die Hose über die Knöchel schieben wollte, klingelte es an der Tür. Es war kurz nach elf. Wer zum Teufel mochte das so spät noch sein?
    Ungehalten drehte er das Badewasser ab und zwängte sich wieder in Hemd und Hose. Während er in die Diele stolperte, hoffte er auf seinen Bruder, fürchtete aber den Vermieter. Im Türrahmen stand jedoch die junge Frau vom Nachmittag. Mit der einen Hand raffte sie die Strickjacke am Kragen zusammen, die andere hielt sie scheu hinterm Rücken.
    »Ich bekenne mich schuldig«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Diesmal habe tatsächlich ich Sie geweckt.«
    Er folgte ihrem Blick auf seine zerknitterten Klamotten. Jetzt dämmerte es ihm auch, warum sie ihn am Nachmittag mit »Guten Morgen!« gegrüßt hatte. Er lächelte. »Sieht man mir das tatsächlich an?«
    Obwohl sie sich bemühte, konnte sie ihr Grinsen nicht unterdrücken. Sofort bereute Robert es, ihr geöffnet zu haben. Er schämte sich auch ein bisschen für seinen ramponierten Aufzug. Zum Glück füllte das Bollern der Straßenbahn das nachfolgende Schweigen.
    »Ich wohne in der Wohnung über Ihnen«, sagte sie, als der Lärm nachließ.
    »Sie sind Frau Blum?«
    »Nadine, bitte.«
    Robert nannte ihr seinen Vornamen. »Also, Nadine, dann warst du das mit dem Wasserschaden?«
    »Noch einmal schuldig auf ganzer Linie. Aber«, sie holte eine Flasche Rotkäppchen hinter ihrem Rücken hervor und drückte ihm den Sekt in die Hand, »ich wollte mich entschuldigen. Ist dumm gelaufen.«
    »Was ist passiert?«
    »Der Kornfeld war vor wenigen Minuten bei mir und sagte, du hättest dich …«
    »Nein, nein, ich meine, wie ist der Schaden passiert?«
    »Der Schlauch meiner Waschmaschine war wohl nicht richtig angeschlossen. Ist es denn sehr schlimm bei dir?«
    »Kaum der Rede wert.«
    »Ehrlich?«
    »Überzeug dich selbst.« Er führte sie ins Badezimmer.
    »Oh«, sagte sie, als sie die mit dampfendem Wasser gefüllte Wanne bemerkte. »Ich wollte nicht stören.« Dann entdeckte sie den schwarzen Schimmelfleck an der Decke. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Kaum der Rede wert? Also, das ist …«
    »… ganz schön übel, ja.«
    »Kein Wunder, dass du dich bei Kornfeld beschwert hast.«
    »Ich habe mich nicht beschwert. Nur darauf hingewiesen. Das ist als Mieter schließlich meine Pflicht, oder?«
    Skeptisch strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden. Ihr Gesicht war schmal, die Wangenknochen hoch, die Nase geschwungen, jedoch keine Stupsnase. Die leicht schräg stehenden Augen hatten eine helle, klare Farbe, getrübt nur durch ihre Zweifel, die aber der Erleichterung wichen, als sie erkannte, dass er nicht scherzte.
    Das tat Robert tatsächlich nicht. Der Wasserschaden an der Zimmerdecke sah zwar übel aus, aber es gab keinen Grund, ihr deswegen böse zu sein. Und selbst wenn, du könntest ihr nicht böse sein, sei ehrlich!
    Als hätte sie seine Gedanken erraten, errötete Nadine und wich seinem Blick aus. Ihre Augen fanden den Behandlungsraum gegenüber. »Du bist Arzt?«
    »Psychologe. Und was machst du?«
    »Ich tanze. Ballett. Aber noch nichts Großes, nur eine kleine Bühne. Ein Hinterhof im Prenzlauer Berg. Wirklich klitzeklein. « Als wäre es ihr peinlich, wechselte sie schnell das Thema. In einer eleganten Bewegung schwang sie den Kopf zum Wohnzimmer. »Ist das Salieri?«
    »Falstaff oder Die drei Streiche.«
    »Ich liebe Salieri.«
    »Du machst Witze.«
    »Warum sollte ich? Gehst du oft in die Oper?«
    »Nein, nicht wirklich. Zumindest nicht in den letzten Jahren, weil ich nicht in Deutschland war. Aber jetzt möchte ich wieder öfter hin. Mein Bruder spielt im Orchester der Deutschen Oper. Er ist sehr gut.«
    »Echt?« Sie klang aufgeregt, als hätte er ihr eine Sensation berichtet. »Das ist … toll!«
    Stille kehrte ein, erfüllt von Falstaff .
    Verlegen hob Robert die Flasche. »Magst du einen Schluck trinken?«
    »Wolltest du nicht in die Badewanne?«
    »Nein«, hörte er sich zu seiner eigenen Überraschung sagen und zog den Stöpsel. »Ich war schon fertig.«

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    »Hoşgeldiniz!« Mergim schien überrascht. Trotzdem

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