Kalte Haut
Brachialer Rammstein-Rock hämmerte aus den Lautsprechern. Sehnsucht versteckt sich wie ein Insekt, im Schlafe merkst du nicht, dass es dich sticht.
Sie überflog noch einmal die SMS von Gerry, die er ihr am Mittag geschickt hatte: Heute sind die Kinder dran. Vielleicht sehen wir uns am Wochenende? 1000 heiße Küsse – lass dich nicht unterkriegen. G.
Als sie vom Mobiltelefon aufsah, eilte ihr Onkel aus dem Haus.
50
In ihrer Wohnung schlug Tania der würzige Duft brutzelnder Steaks entgegen. Schon bei dem Gedanken an das blutige Fleisch drehte sich ihr der Magen um.
»Du kommst genau richtig. Das Essen ist fertig.« Hagen empfing sie freudestrahlend in der Diele.
Mit einem schwachen Lächeln folgte Tania ihrem Freund in die Küche. Er hatte das Licht gedimmt. Auf dem gedeckten Tisch flackerten Kerzen in einem kunstvoll verzierten Leuchter. Auf dem Herd zischelte es aus Töpfen und Pfanne.
Tania hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Seit den Ereignissen am Mittag war ihr jedweder Appetit vergangen, und auch jetzt, mit dem Abstand einiger Stunden, mochte sich der Hunger selbst beim Anblick der vor sich hin köchelnden Speisen nicht einstellen. Andererseits wollte sie Hagen nicht enttäuschen, er hatte sich so viel Mühe gegeben.
Er servierte das gebratene Fleisch in einer selbst kreierten Rahmsauce, dazu gab es Kartoffeln und Gemüse vom Frischemarkt. Die Komposition sah appetitlich aus, doch nach dem ersten Bissen rebellierte Tanias Magen. Lustlos stocherte sie auf dem Teller herum, tunkte die Kartoffeln in die Sauce, drapierte sie ums Steak. Schließlich legte sie resigniert die Gabel auf den Teller und schob diesen beiseite.
Hagen sah sie fragend an.
»Tut mir leid, habe heute einfach keinen Hunger«, entschuldigte sie sich.
»Und ich dachte schon, es liegt an meinem Essen.«
»Nein, ganz bestimmt nicht.« Tania langte über den Tisch und ergriff seine Hand. Es rührte und erstaunte sie immer wieder aufs Neue, wie sehr Hagen sich um sie bemühte.
Er räumte die Teller und Töpfe in die Spülmaschine und schaltete sie ein. Während das Gerät rumpelte, setzte er sich zurück an den Tisch. Erneut hing sein Blick erwartungsvoll an ihr.
Aber Tania wollte nicht reden. »Wollen wir einen Film gucken?«
»Meinetwegen.«
Sie wechselten von den Küchenstühlen zur ungleich bequemeren Couch. Hagen trug die Kerzen hinüber ins Wohnzimmer, wo er sie auf einen Glastisch stellte. Die flackernden Flammen erzeugten ein Spiel aus Licht und Schatten, es beruhigte Tania.
»Was möchtest du sehen?«, wollte Hagen wissen.
Tania schaltete den Fernseher ein. »Was läuft denn?«
In einer Nachrichtensendung wurde über den Mord an Frank Lahnstein berichtet. Prompt wurde es Tania wieder flau im Magen. Schnell zappte sie auf einen anderen Kanal. Dort lief The Beach . Leonardo DiCaprio lag behaglich ausgestreckt am sandig weißen Strand einer karibischen Insel. Genau das Richtige, um auf andere Gedanken zu kommen. Dummerweise währte die paradiesische Ruhe nicht lange. Das tut sie nie!
»Wie hast du das am Telefon genannt?«, fragte Tania. »Das große Los?«
»Das war nur ein dummer Scherz.«
»Aber du hast ja recht. Dieser Mord ist natürlich ein großes Thema für den Kurier.«
»Passiert ja auch nicht alle Tage, dass Entführer dafür sorgen, dass Journalisten die Leiche des Opfers finden, das außerdem der Sohn eines umstrittenen Politikers ist.«
Auf dem TV-Schirm sprang Leonardo DiCaprio in die Meeresbrandung, in der bereits eine junge Frau im verführerischen Bikini auf ihn wartete. Wendig wie Delfine glitt das Paar unter Wasser, genoss das Prickeln der Strömung, die sie forttrieb an einen Ort, der eine böse Überraschung für sie bereithielt.
»Weißt du eigentlich, wer heute Mittag die Leiche gefunden hat?«, fragte Tania.
Hagen schüttelte den Kopf. »Sie haben’s in den Nachrichten nicht gesagt …« Er stutzte, dann begriff er. »Scheiße!«
Das bringt es treffend auf den Punkt. Tania kuschelte sich an ihren Freund, und die Müdigkeit schwappte wie eine wilde Brandung über sie hinweg. Wie an einem paradiesischen Strand der Karibik. Doch als sie die Augen schloss, sah sie wieder die Leiche in der Lagerhalle vor sich.
Zu allem Übel begann in dem Moment auch noch ihr Handy zu klingeln. Widerwillig kramte Tania das Telefon aus ihrer Handtasche. Die Nummer auf dem Display war unbekannt.
»Ralf?«, erkundigte sich Hagen.
Tania stöhnte.
»Dann geh nicht ran.« Er streckte die Hand nach
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