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Kalte Haut

Kalte Haut

Titel: Kalte Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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dem Telefon aus. »Oder lass mich mit ihm reden.«
    »Damit er sich noch mehr aufregt? Auf keinen Fall.« Unschlüssig drehte sie das Handy in ihren Fingern. Schließlich nahm sie den Anruf an. »Ja?«
    »Sie haben nichts in Ihrer Zeitung gebracht!«, polterte eine Stimme.
    Tania brauchte einen Moment, bis sie den wütenden Anrufer erkannte. »Herr Haindling?«
    »Warum ist Ihr Bericht nicht erschienen?«
    Tania war müde, und ihr war noch immer schlecht. Trotzdem stemmte sie sich empor. »Ihre Aussage allein genügt nicht.«
    »Was wollen Sie denn noch?«
    »Ich brauche Beweise. Kopien der falschen, unvollständigen Arbeitsanweisungen zum Beispiel.«
    »Und ich soll Ihnen die beschaffen?«
    »Sie haben selbst gesagt, dass diese Schweinerei öffentlich gemacht werden muss.«
    »Ich riskiere bereits meinen Job, nur weil ich mit Ihnen rede.«
    »Bitte!«
    Haindling antwortete nicht. Derweil sah sich im Fernsehfilm Leonardo DiCaprio bereits mit den heimtückischen Gefahren der Insel konfrontiert.
    »Na gut«, flüsterte Haindling. »Kommen Sie vorbei.«
    »Jetzt?«
    »Natürlich.«
    Tania legte auf, verharrte auf dem Sofa. Kommen Sie vorbei. Langsam griff sie nach ihren Schuhen, zog sie an.
    »Was hast du vor?«, erkundigte sich Hagen.
    »Ich muss noch mal los.«
    »Hältst du das für eine gute Idee?«
    »Ich halte es für meinen Job.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Lippen und ging in die Diele. »Außerdem bringt es mich auf andere Gedanken.«

51
    Reflexartig warf Sera das noch leuchtende iPhone in den Fußraum, duckte sich hinters Steuer und schaltete sogar das Radio aus. Weshalb versteckst du dich? Ihr Onkel wusste doch nicht einmal, dass sie überhaupt ein Auto besaß, geschweige denn hätte er ihren Golf erkannt.
    Sie richtete sich wieder auf.
    Onkel Mergim eilte über das Paul-Lincke-Ufer. Das schnelle Laufen bereitete dem korpulenten Mann sichtlich Mühe. Er strauchelte, stolperte über das unebene Straßenpflaster. Ein paar Meter weiter wäre er kopfüber in den Landwehrkanal gestürzt.
    Im Winter war der Kanal bei Selbstmördern beliebt. Einmal drin war es fast unmöglich, über die glatten, steilen Wände wieder hinauszukommen. Für beleibte Menschen würde auch ein Aprilabend dafür ausreichen.
    Ihr Onkel hetzte Richtung Kottbusser Damm. War es nur ein Zufall, dass er das Haus ausgerechnet nach ihrem Besuch verließ? Unmittelbar nach deinen unangenehmen Fragen? Wohin wollte er zu dieser späten Stunde?
    Sera hob ihr Mobiltelefon auf. Das Displaylicht war erloschen. Du solltest heimfahren . Aber dort erwarteten sie ein kaltes Bett, eine stille Wohnung, eine kaputte Vase – und eine Nacht voller quälender Gedanken. Der Senator weiß nicht, wie es ist, ein … Kurz entschlossen stieg sie aus dem Wagen, verriegelte die Tür und heftete sich an die Fersen ihres Onkels.
    Am Kottbusser Damm wandte Mergim sich nach links, Richtung Neukölln, in eine andere Welt, die von blinkenden Neonreklamen auf beiden Seiten der Straße erhellt wurde. Trotz der nachtschlafenden Zeit herrschte reger Betrieb.
    Vor den Spielhallen und Dönerbuden lungerten junge Türken und Araber in Baggy-Jeans, in denen neben ihrem Hintern locker auch noch ein Bierkasten Platz gefunden hätte. Manche spielten sich mit vulgären Sprüchen auf. Als Sera die Halbwüchsigen mit einem scharfen Blick zur Räson brachte, verlor sie ihren Onkel fast aus den Augen. Sie ärgerte sich, weil sie einen so großen Abstand zu ihm gehalten hatte, und sie fluchte, weil sie sich erneut fragte, was um alles in der Welt sie hier eigentlich tat.
    Dann sah sie Mergim wieder, und plötzlich war ihr klar, welches Ziel er ansteuerte. Er ging schräg zum Hermannplatz. Kuskayasi e. V. leuchtete an der Fassade des Hauses. Ihr Onkel betrat die Teestube. Das Geschnatter der Männer hallte bis auf die Straße, bevor die zufallende Tür es wieder dämpfte. Drinnen begrüßte Sehmus Gökcan ihren Onkel mit ritueller Herzlichkeit. Küsschen links, Küsschen rechts. Small Talk.
    Sera suchte Deckung in einem Dönerimbiss. Obwohl sie keinen Hunger verspürte, bestellte sie ein Dürüm. In der Teestube konnte sie die beiden Männer miteinander reden sehen. Sie gestikulierten wild, stritten sich, besänftigten sich durch Schulterklopfen. Nach wenigen Minuten verließen sie gemeinsam das Gebäude.
    Wieder überkamen Sera Zweifel. Sie hielt Ausschau nach Observierungsbeamten, die sich mit Sehmus Gökcan in Bewegung setzten. Aber standen die Gökcans überhaupt noch unter

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